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1. Teilnahme Alpenbrevet (276 km, 7000 hm) 13.08.11


Das Alpenbrevet und vor allem die Platinstrecke faszinierten mich schon lange. Die nackten Zahlen waren schon Furcht einflößend: 5 Pässe, 276 km und 7.000 hm. Wer hier durchkommen will, sollte den Ötztaler Radmarathon mit einer Zeit unter 10 Stunden finishen. Nachdem ich dort letztes Jahr eine Zeit von 9:31 h erreicht hatte, war das Ziel für dieses Jahr klar. Ich wollte mich am härtesten Ein-Tages-Marathon der Alpen versuchen. Die Vorbereitung lief nach etlichen Problemen zu Jahresbeginn sehr gut. Eine Transalp Mitte Juli sollte mir den letzten Schliff besorgen. Der letzte Test im Schwarzwald verlief dann auch viel versprechend. Jedenfalls was die Zeit betraf. Ich hatte allerdings ständig Probleme mit meiner Wadenmuskulatur. Also wurde wenige Tage vor dem Start noch an den Pedalplatten und der Sattelhöhe experimentiert! Zum Start des Marathons hatte ich ca. 5.500 km und 55.000 Höhenmeter seit Jahresbeginn in den Beinen, allerdings mit Ausnahme der Transalp nur eine Tour über 100 km! Die Erfahrungen anderer Teilnehmer zeigen, dass man die Zeit des Ötztaler Radmarathons mit einem Faktor von 1,3 – 1,4 multiplizieren muss um eine etwaige Zielzeit beim Alpenbrevet zu erhalten. Das würde also bedeuten, dass ich mit 12,5 - 13,3 Stunden auf dem Rad rechnen musste. Ich wählte die optimistische Variante und zog von den 12,5 Stunden noch eine halbe Stunde ab. Schließlich wollte ich den Ötzi nächstes Jahr ja auch eine halbe Stunde schneller fahren. So bastelte ich mir also eine Zeittabelle mit Zielzeit 12 Stunden. Als ich donnerstags aber mal ausrechnete, wie viel Höhenmeter/Stunde ich an den einzelnen Pässen fahren musste, wurde mir schnell klar, dass die Zielzeit ziemlich utopisch war.


Am Freitagnachmittag machte ich mich dann mit einer Mischung aus Vorfreude und gehörigem Respekt auf nach Hasliberg bei Meiringen. Samstagmorgen um 4:30 Uhr klingelte der Wecker. Ein kurzes Frühstück später stand ich an der Seilbahnstation von Hasliberg. Diese sollte mir die Fahrt mit dem Rad hinunter nach Meiringen ersparen. Leider waren die beiden zusätzlich eingesetzten Bahnen überfüllt und somit musste ich noch auf eine dritte warten. Um 6:40 Uhr und damit gerade einmal 5 Minuten vor dem Startschuss erreichte ich dann den Start/Ziel-Bereich. Bereits zu dieser frühen Stunde hatte es angenehme Temperaturen. Die Wetterprognosen versprachen einen wunderschönen Tag. Dann der Countdown und mehr als 1500 Radsportler setzten sich in Bewegung.


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Kurz vor 7 Uhr, 1.500 Radsportler drängen sich am Start

Es ging zunächst auf noch gesperrter Strasse leicht bergauf, ehe wir auf einer kurzen Abfahrt Innertkirchen erreichten. Dann begann der Anstieg zum Grimselpass. 1540 Höhenmeter waren auf 26 km zu bezwingen. Ab hier waren die Straßen nicht mehr gesperrt, so dass sich von nun an alles auf der rechten Straßenseite tummelte. Das Alpenbrevet hat für die Platinstrecke ein ziemlich strenges Zeitlimit nach 2 Pässen. Es galt also, möglichst flott zu fahren, ohne aber bereits hier an seine Grenzen gehen zu müssen. Ich fand nach einiger Zeit einen vernünftigen Tritt und überholte überwiegend andere Fahrer. Mein Puls blieb dabei stets unter 160 Schlägen und somit im grünen Bereich. Von gelegentlichen kürzeren Steilstücken waren die ersten 16 km ganz gut zu fahren. Mit Beginn der Tunnelumfahrung änderte sich dies dann. Die Steigung zog nun deutlich an und man durfte einen Blick auf die erste Staumauer werfen. Ich behielt meinen Rhythmus bei und erreichte bald den Räterichsbodensee. Sofort suchte ich mir ein Hinterrad um auf dem 1,5 km langen Flachstück am See entlang Kraft zu sparen. Wieder eine kurze Rampe später erreichte ich den Grimselsee. Wieder konnte man auf einem fast flachen Kilometer durchschnaufen, ehe mehrere steile Serpentinen zur Passhöhe führten. Ich erreichte die erste Verpflegungsstelle auf dem Grimselpass nach 1:55 h und lag damit auf die Minute genau im Plan.


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Am Anstieg des Grimselpasses. Noch sind die Teilnehmer gut gelaunt

Voller Zufriedenheit und ob der guten Zeit etwas überrascht machte ich nur eine kurze Pause. Wasserflaschen füllen, 2 Gels runterwürgen, einen Happen essen, noch etwas Proviant einstecken und 3 Minuten später ging es weiter. Es folgte die kurze aber technisch anspruchsvolle Abfahrt nach Gletsch ehe es mit deutlich weniger Serpentinen bergab nach Ulrichen ging. Ich ließ es hier schon ordentlich laufen und war zufrieden, dass ich anders als beim Ötztaler Radmarathon auf den Abfahrten nicht ständig überholt wurde. Eine knappe halbe Stunde später stand nun der zweite Pass des Tages auf dem Programm. Am Nufenen waren auf gerade einmal 13,3 km 1130 Höhemeter zu überwinden. Trotz der hohen Durchschnittssteigung von 8,5 % hatte ich keine Angst vor diesem Pass. Er ist sehr gleichmäßig zu fahren und im Gegensatz zum endlosen Grimselpass ist man, ehe man sich versieht, schon zur Hälfte oben. Und so war es denn auch. Mit einem konstanten Puls von 155 und einer Geschwindigkeit von knapp über 10 km/h kämpfte ich mich Pedalumdrehung für Pedalumdrehung nach oben. Nach 1:10 h erreichte ich so den Gipfel. Ich war nun gut 3,5 Stunden unterwegs und lag nur 2 Minuten hinter meinem Plan zurück. Eigentlich also alles in Butter, eigentlich! Beim Absteigen in der Verpflegungszone zuckte mein Oberschenkel bereits das erste Mal. Keine Ahnung warum, aber das kam definitiv zu früh.


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Die Sonne steht noch tief, während der Abfahrt vom Grimselpass nach Gletsch

Ich machte 6 Minuten Pause, und damit mehr als geplant und beschloss die nun folgende 50 km Abfahrt und den 28 km langen aber nicht sehr steilen Lukmanierpass als Erholung zu nutzen. Hätte ich es mal lieber getan. Die Abfahrt wusste anfangs zu gefallen. Nur wenige Serpentinen stellten sich in den Weg und so erreichte ich wieder einige Male Geschwindigkeiten von über 70 km/h. Allerdings besteht die Straße lediglich aus Betonplatten, was auf Dauer etwas nervig war. Nach 4:06 h erreichte ich die Verpflegungsstelle bei Airolo. Nach wie vor lag ich 4 Minuten hinter meinem Plan zurück, aber noch weit vor dem Zeitlimit. Es folgte wieder nur eine kurze Pause von 2 Minuten und ich setzte meine Fahrt fort. Die nun folgenden 36 km wiesen nur noch ein Gefälle von ca. 2,5% aus. Da zusätzlich leichter Gegenwind herrschte war ordentlich Mittreten angesagt. Nach kurzer Zeit überholte mich ein Paar. Der Mann machte augenscheinlich für die Frau Tempo, aber wie. Wohl wissend, dass dies definitiv nicht mein Tempo war, hängte ich mich hintendran. Alleine fahren wollte ich hier auch nicht. Das Ganze ging einige Zeit ganz gut. Allerdings erreichte mein Puls dabei des Öfteren Bergniveau. Wir sammelten immer mal wieder andere Fahrer auf und verloren auch wieder welche.


Anstieg Nufenen.jpg
Kurz vor der Passhöhe des Nufenen. Das Feld längst in seine Bestandteile zerfallen


Nach einiger Zeit überholten die beiden in einer Stadt mehrere Autos. Bis ich an diesen vorbei kam, war bereits eine Lücke gerissen und ich hatte einige Mühe sie zu schließen. Wenig später, wir waren zu dieser Zeit zu viert unterwegs, fuhr ich an letzter Stelle des Express-Zuges. Mein Vordermann war wohl auch schon leicht angeknockt und verpflegte sich während der Fahrt. Natürlich riss dadurch ein Loch zu unserem Führungsduo auf. „Du hast das Loch reißen lassen, jetzt schließ es auch wieder“, dachte ich mir und ließ meinen Vordermann ordentlich arbeiten. Er kam den beiden zwar wieder näher aber nach kurzer Zeit merkte ich, dass ihn die Kräfte verließen. Also überholte ich und schloss in einem letzten Kraftakt erneut das Loch. Jetzt deuteten sich zum ersten Mal Krämpfe im Oberschenkel an, auf einer Abfahrt! Innerlich musste ich unweigerlich den Kopf schütteln. Kurze Zeit später fuhren wir auf eine größere Gruppe auf und endlich konnte ich mich wieder etwas erholen. Aber eigentlich war es längst zu spät, ich hatte schon viel zu viele Körner liegen lassen. Mir wurde bewusst, dass ich an dieser ultimativen Herausforderung heute vielleicht scheitern würde. In jedem Fall würde es aber ein ganz harter Tag werde. Ich sollte Recht behalten.


Anstieg Gotthard.jpg
Kopfsteinpflaster und Serpentinen soweit das Auge reicht. Die Teilnehmer der Gold-Runde am Gotthard

Kurze Zeit später erreichte ich nach gut 5 Stunden die Verpflegungsstelle in Biasca. Ich lag nur 2 Minuten hinter meinem Plan zurück, allerdings brauchte ich nun eine viel längere Pause als angedacht. Mir war aber ohnehin bewusst, dass mein Zeitplan an den folgenden 3 Pässen nicht mehr zu halten war. Die Geschichte des Lukmanierpasses ist dann schnell erzählt. Auf dem fast 28 km langen aber nicht sehr steilen Anstieg ging es nur darum auf dem Rad zu bleiben und keine Krämpfe zu bekommen. Ich konnte kaum einmal einen Kilometer am Stück fahren, ohne aus dem Sattel gehen zu müssen oder Tempo rauszunehmen. Kurz bevor der Muskel endgültig zumachte, war dies die einzige Möglichkeit, es zu verhindern. Der Puls stieg jetzt nur noch selten über 140. Seltsamerweise wurde ich aber nicht ständig überholt. Teilweise überholte ich sogar noch andere Fahrer. Alles um mich herum, schien auch nicht mehr wirklich fit zu sein. Oben angekommen, lag ich dann immer noch nur 4 Minuten hinter meinem Plan zurück. Ich musste unweigerlich den Kopf schütteln. Ich hatte jetzt über 2 Stunden das Gefühl gehabt, total einzubrechen und trotzdem lag ich noch gut in der Zeit. Allerdings wurden die Pausen jetzt immer länger. Es dauerte fast 10 Minuten, bis ich mich von der Verpflegungsstelle am Lukmanier trennte und mich in die Abfahrt stürzte.


Diese war leider nur sehr kurz und bestand wie am Nufenen aus Betonplatten. In Disentis angekommen begann dann der Anstieg zum Oberalppass. Noch einmal waren über 20 km zu bezwingen. Allerdings gewinnt man auf den ersten 13 km kaum an Höhe. Das war auch gut so. Ich war mit meinen Kräften langsam am Ende. Und auch wenn ich vielleicht der einzige Teilnehmer war, der so dachte, das Wetter war definitiv nichts für mich. Es war mir schlicht viel zu warm. In Meiringen hatten sie abends leichten Regen gemeldet. Vielleicht hatte ich ja Glück und es würde den Sustenpass hoch schon regnen. Das würde mir sicher helfen. Glücklicherweise fand ich schnell ein Hinterrad welches ebenfalls nur ein gemäßigtes Tempo fuhr. Es dauerte nicht lange, und mein Puls wollte nicht mehr über 130 gehen. Dafür hatten sich aber meine Muskeln wieder etwas beruhigt. Ich musste nur noch seltener aus dem Sattel um Krämpfe zu verhindern. Nach ca. 45 Minuten war das flachere Teilstück absolviert und es folgte der finale Anstieg zum Oberalp.


Für 4 km zog die Steigung nun auf fast 7% an, ehe es über mehrere Serpentinen für 3 km noch steiler wurde. Mein Puls kratzte nun wieder an der 140er-Marke, die Leistung blieb allerdings im Keller. In den Schlussserpentinen fiel die Geschwindigkeit teilweise unter 10 km/h. Deftiger Gegenwind in jeder zweiten Geraden machten die Sache nicht einfacher. Ziemlich fertig aber glücklich auch den vierten Pass absolviert zu haben, erreichte ich die Verpflegungsstelle auf der Passhöhe. Ich war mittlerweile 9:39h auf dem Rad und damit so lange wie noch nie zuvor. Noch fehlten aber ein Pass und über 70 km bis ins Ziel. Ich hatte inzwischen richtig Zeit verloren und lag satte 25 Minuten hinter meinem Plan zurück. Und eine Pause hatte ich hier oben eigentlich auch nicht geplant. Aber dass die Zeit von 12 Stunden völlig utopisch war, wusste ich ohnehin schon lange. Immerhin war ich noch im Rennen und inzwischen wieder optimistisch auch durchzukommen. Nach knapp 10 Minuten Pause stieg ich eher widerwillig aufs Rad und stürzte mich in die Abfahrt nach Andermatt.


Wenigstens konnte man es hier schön laufen lassen und so erreichte ich schnell Andermatt. Zu diesem Zeitpunkt fuhr noch ein weiterer Fahrer vor mir. Am Kreisverkehr angekommen, wurde dieser nach links geleitet. Ich wunderte mich zwar, weil es nach Wassen eigentlich nach rechts gegangen wäre. Um vernünftig zu denken war ich aber zu müde, also folgte ich ihm. So landeten wir an der Verpflegungsstrecke der Goldrunde außerhalb von Andermatt und mussten dort erstmal kurz nach dem Weg fragen. Aber gut bei einer Strecke von 176 km machten diese 1,5 km Umweg den Kohl auch nicht fett. Vor dem nun folgenden Teilstück durch die Schöllenenschlucht hatte der Veranstalter bereits gewarnt. Ganz so viel Verkehr herrschte dann aber nicht. Trotzdem konnte man hier nicht so schnell fahren, wie gewünscht. Dadurch und durch den Umweg in Andermatt hatte ich bis Wassen meinen Rückstand auf meine Sollzeit bereits auf 40 Minuten angehäuft. Nun stand also als letztes Hindernis der Sustenpass auf dem Programm. 17 km bei 7,5 % Durchschnittssteigung sollten noch einmal eine physische Herausforderung der Extraklasse bieten.


Das ganze wird dann noch durch den gefürchteten Straßenverlauf des Passes gekrönt. Hat man das erste Teilstück überstanden, zieht sich die Straße kilometerlang am Hang entlang ohne dass sich das Panorama merklich ändert. Man hat das Gefühl überhaupt nicht vom Fleck zu kommen. Das wurde natürlich dadurch verstärkt, dass ich tatsächlich nicht so richtig vom Fleck kam. Ich schaffte es zwar den Puls stellenweise wieder Richtung 140 zu treiben und meine Muskeln machten sich nur noch selten bemerkbar. Die daraus resultierende Leistung war allerdings dürftig. Sobald es etwas steiler wurde, sank die Geschwindigkeit auf unter 10 km/h. Die Hoffnung auf Regen hatte sich leider nicht erfüllt. Je näher ich der Passhöhe kam, desto öfter verdeckten aber Wolken die Sonne. Wenigstens etwas. Ich fuhr hier fast ausnahmslos alleine. Selten überholte ich einen Fahrer, manchmal wurde ich überholt. Sich an ein Hinterrad zu klemmen war aber unmöglich. Ich fuhr hier das Maximum was möglich war ohne Krämpfe zu bekommen, mehr war einfach nicht möglich. Ich versuchte möglichst wenig nach oben zu schauen, schließlich wollte ich nicht sehen, was mir noch alles blüht. Meine Muskeln hatten sich inzwischen weiter beruhigt. Jedenfalls kamen sie mit dem gefahrenen Tempo gut zurecht. Weit aus seltener als am Oberalp und vor allem am Lukmanier musste ich nun aus dem Sattel. Dann erreichte ich endlich die Linkskurve welche den 4 km langen Schlussanstieg über 2 Serpentinen einläutet.


Anstieg Susten.jpg
Tolles Panorama und Radfahren im Grenzbereich am Susten.
Nach weit über 200 km am fünften und letzten Pass der Platin-Runde

Allerdings zieht sich die erste Gerade noch mal unendlich lange 2 km am Berg entlang, dazu mit über 9% zu Beginn auch heftig steil. Jetzt zog es mir endgültig den Stecker. Ich musste meine Leistung derart reduzieren, dass ich mit einem Puls von unter 130 nur noch Geschwindigkeiten um die 8 km/h erreichte. Ständig musste ich jetzt wieder aus dem Sattel oder die Geschwindigkeit noch weiter verringern, um Krämpfe zu verhindern. Wo genau die Probleme auftraten, konnte ich gar nicht mehr wirklich realisieren. Das unbehagliche Ziehen erstreckte sich teilweise von der Oberschenkel-Innenseite über die Kniekehle bis zur Wade. Immer wieder sah ich nun Radfahrer am Straßenrand Pause machen. Einige bewegten sich nur noch zu Fuß den Berg hinauf. Es war ein schwacher Trost zu sehen, dass es anderen nicht besser ging, als mir. Ich wollte hier aber um jeden Preis auf dem Rad bleiben. Absteigen ist ein Zeichen von Schwäche. Diese Blöße wollte ich mir einfach nicht geben. Endlich erreichte ich die erste der beiden Serpentinen und wenig später auch die zweite. Nach einem wiederum endlos erscheinenden letzten Kilometer tauchte ich endlich in die kühle Dunkelheit des Scheiteltunnels ein. Ich löste die Hand vom Lenker und formte sie zu Beckerfaust. In der Einsamkeit des Tunnels feierte ich still und leise meinen kleinen Triumph. Ich hatte auch den letzten Alpenpass bezwungen. Alleine für die letzten 4,5 km hatte ich 30 Minuten benötigt. Das entspricht einer Aufstiegsrate von 650 hm/h. Nur zum Vergleich, am Grimsel und Nufenen war ich mit mehr als 900 hm/h geklettert.


Nach dem Tunnel und nur ein paar Meter vor der Verpflegungsstelle überkam mich dann plötzlich ein brennender Schmerz im rechten Fußballen. Ich setzte mich erstmal auf eine Bierbank und zog sofort die Schuhe aus. Als ich mit schmerzverzehrtem Gesicht über meinen Füßen gebeugt auf der Bank kauerte, kam ein anderer Radler in Socken zu mir und meinte: „Du hast bestimmt die gleichen Schmerzen wie ich. Lauf ein bisschen rum, dann wird’s besser“. Also lief ich ein paar Meter und tatsächlich ließ der Schmerz rasch nach. Danach futterte ich noch mal die ganze Palette der angebotenen Leckereien und machte mich auf zu den finalen 30 km. Ich lag zu diesem Zeitpunkt bereits 66 Minuten über meinem Plan. Hätte ich das gewusst, hätte ich wohl weniger Pause gemacht und noch mal versucht Gas zu geben um wenigstens unter 13 Stunden zu bleiben. Daran dachte ich aber gar nicht mehr. Die Abfahrt vom Susten nach Innertkirchen ist eigentlich eine wunderschöne. Während man im oberen Bereich noch einige Serpentinen überwinden muss, windet sich die Straße danach über viele, nicht zu enge Kurven das Tal hinab. Das ganze auf einem vorzüglichen Asphalt. Leider konnte ich daran aber keinen Gefallen mehr finden. Ich wollte einfach nur noch ins Ziel. Problematisch waren auch die vielen Galerien. Die Sonne blendete von vorne und die Sonnenbrille war von Schweiß und Sonnencreme verschmiert. So gleichte manche Durchfahrt eher einem Blindflug. Eine gute halbe Stunde später erreichte ich den Gegenanstieg bei Innertkirchen.


Wie auch auf den letzten Kilometern am Susten, ging hier gar nichts mehr. Ständig zuckte meine Oberschenkelmuskulatur und teilweise wunderte ich mich schon selber, dass der Muskel nicht längst endgültig zumachte. Allein auf diesen knapp 2 km wurde ich noch fünfmal überholt. Ich war zu diesem Zeitpunkt aber auch ein leichtes Opfer, unfähig sich zu wehren. Dann war es endlich geschafft. Noch ein paar Meter bergab und ich fuhr unter dem Beifall einiger Zuschauer ins Ziel. Wie ich erst später erfuhr in 12:59 h. Ich war einfach nur froh, es geschafft zu haben. Rasch gönnte ich mir einen kleinen Teller Nudeln, regte mich darüber auf, dass das Finisher-Polo-Shirt nur noch in Größe L und viel zu groß vorhanden war und versuchte noch eine Seilbahn hinauf nach Hasliberg zu erwischen, was auch gelang.



Fazit:

Zugegeben, es fiel mir noch nie so schwer die eigene Leistung zu bewerten. Fakt ist, ich war fast eine Stunde langsamer als mein zugegeben sehr optimistischer Plan. Fakt ist auch, dass ich von 336 Startern 169. wurde und damit lediglich im Mittelfeld landete. Andererseits musste ich bereits nach 2 Pässen mit Krämpfen und dem mir zu warmen Wetter kämpfen. Letztlich sollte ich also froh sein, überhaupt das Ziel erreicht zu haben. Nichts desto trotz muss ich diese Krampfanfälligkeit bei warmem Wetter dringend in den Griff bekommen. Und wenn ich dann noch einen Blick auf die Ergebnisse der kürzeren Gold-Tour werfe, relativiert sich auch der Mittelfeld-Platz. Mit meinem Schnitt von 21,3 km/h wäre ich bei der Gold-Tour 41. von fast 800 Teilnehmern geworden. Die Platin-Tour wird eben wirklich nur von besseren Ausdauersportlern gefahren. Dort dann im Mittelfeld zu landen, ist wohl keine Schande. Die Organisation ließ kaum Wünsche offen. Das Verpflegungsangebot war gut, mir fehlte gegen Ende noch etwas Deftiges, aber das ist eben auch Geschmackssache. Bis auf den Umweg in Andermatt, der aber wohl auf mangelnde Kommunikation beruhte, war die Strecke auch gut ausgeschildert.


Der wirklich große Unterschied zum Ötztaler Radmarathon ist natürlich die nicht gesperrte Strecke. Bergauf hat mich das kaum gestört. Insgesamt war für Schweizer Verhältnisse eher wenig Verkehr. Bergab nervt es aber ab und an schon. Wenn man bergauf mühsam Sekunde für Sekunde rausholt und diese dann bergab wieder verliert, weil einen der motorisierte Verkehr ausbremst, ist das schon ärgerlich. Und nächstes Mal sollte man bei der Produktion der Finisher-Geschenke vielleicht berücksichtigen, dass der gemeine Radsportler keine 90 kg wiegt.Landschaftlich ist der Marathon sicher einer der schönsten im Alpenraum. Blöd nur, dass man davon nicht viel mitbekommt, weil man einfach viel zu fertig ist. Für mich war der Marathon jedenfalls eine ganze Klasse härter als der Ötztaler Radmarathon im Jahr zuvor. Und im Ziel angekommen, war ich mir auch sicher: „War gut, brauch ich aber nicht noch mal!“. Heute denke ich darüber schon längst wieder anders und bin mir fast sicher, wir sehen uns wieder. Ich hab schließlich noch eine Rechnung zu begleichen!