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Crossbike-Rennradtour Frankreich Italien vom 25.08.18 - 30.08.18

    Tag1 (Colle delle Finestre, Colle del Sestriere)

    Tag2 (Colle del Sommeiller)

    Tag3 (Col Basset, Monte Jafferau)

    Tag4 (Col du Gondran, Le Janus)

    Tag5 (Col du Parpaillon)

    Tag5 (Col d'Agnel)


1. Tag (Colle delle Finestre, Colle del Sestriere)


Nachdem ich zwei Jahre lang durch unseren Hausbau quasi komplett radfrei verbracht hatte, sollte 2018 endlich wieder ein Alpentripp erfolgen. Doch die Vorbereitungen dazu liefen recht dürftig. Ich hatte noch immer nicht viel Zeit und so kamen max. 1.500 km in diesem Jahr zusammen, ein Großteil davon waren Einheiten um die 90 min. Der Plan sah dieses Jahr etwas Neues vor. Zum einen hatte ich in den Alpen schon fast alle großen Pässen beradelt, zum anderen schaute ich auf meinen Passfahrten immer sehnsüchtig auf die kleinen Schotterwege, welche sich teilweise noch höher ins Gebirge schraubten. Daher wurde mein Stevens Crossbike X8 reaktiviert und ich begab mich auf die Suche nach den bekanntesten Schotterpässen. Außerdem sollte noch der Colle del Sestriere und endlich der Col d'Agnel erobert werden. Dann hätte ich bis auf das Hochtor an der Großglockner-Hochalpenstrasse alle Pässe über 2.000 m Höhe in den Alpen bezwungen. Heraus kam schließlich eine Tour durch die französischen und italienischen Alpen zwischen Bardonecchia und Embrun.


Wie immer wollte ich schon am Anreisetag die erste Tour fahren und so klingelte am Samstag, den 25.08.18 bereits um 3:00 Uhr mein Wecker. Eine Viertelstunde später saß ich auch schon im Auto. Dummerweise verfuhr ich mich in Frankreich und kam erst um 11:30 Uhr in Oulx an. Mein Auto ließ ich auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums stehen und startete 15 min später bei strahlendem Sonnenschein meine erste Etappe in Richtung Susa. Ich machte mir anfangs etwas Sorgen, ob die Straße nicht zu viel Verkehr aufweisen würde, das war aber unbegründet. Es war nicht viel los und da es tendenziell bergab ging, erreichte ich schnell Meana di Susa. Hier startete ich also meinen ersten Schotterpass, den Colle delle Finestre, wenngleich der Beginn noch auf Asphalt zu absolvieren war. Es ging auch direkt voll zur Sache. Bei Steigungen von deutlich über 10% kam ich in der Mittagssonne bereits heftig ins Schwitzen. Nach kurzer Zeit erreichte ich die erste große Serpentinengruppe im Wald und hatte wenigstens ab und zu etwas Schatten. Meine Geschwindigkeit pendelte nun meist zwischen 8 und 9 km/h. Der Anstieg war zwar weiterhin sehr steil aber auch sehr gleichmäßig und auf gutem Asphalt zu fahren. Auf Aussichten musste man aufgrund des Waldes aber fast gänzlich verzichten.

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Die erste Serpentinengruppe während des Anstieges von Susa zum Colle delle Finestre

Da ich während meiner fast 8 stündigen Autofahrt natürlich kaum was gegessen hatte, machte sich bald schon mein Magen bemerkbar. So legte ich schon nach 7 Kilometern eine kurze Pause ein. Ein Rennradfahrer überholte mich und erkundigte sich, ob alles in Ordnung sei. "Sehe ich etwa schon so schlecht aus?" fragte ich mich. Ansonsten war hier quasi kein Verkehr, was sicher auch daran lag, dass der Pass offiziell an Samstagen für den KFZ-Verkehr gesperrt ist. Etwas später erlaubte mir der dichte Wald erstmals freie Blicke ins Val di Susa und ich war erstaunt, wieviel Höhe ich schon gewonnen hatte. Nach knapp zwei Stunden Fahrt erreichte ich schließlich Il Colletto und seinen Brunnen und damit das Ende der Asphaltstrecke. Ich füllte meine Wasservorräte auf und wunderte mich, wie wenig ich bis dahin getrunken hatte. Jetzt war ich natürlich gespannt, wie gut die Schotterstrecke zu fahren war. Ich hatte im Vorfeld lange überlegt, ob ich die Etappe mit dem Rennrad fahren sollte. Immerhin war in diesem Jahr der Giro d'Italia über den Pass gefahren und dafür wird er immer ordentlich hergerichtet. Da ich aber mit dem Gedanken spielte, nicht direkt ins Val Chinsone abzufahren sondern über die Assietta Kammstrasse Sestriere zu erreichen, hatte ich mich für das Crossbike entschieden. Anfangs war die Straße noch ganz gut zu fahren. Es hatte zwar viele lose und auch große Steine, aber man fand eigentlich immer einen vernünftigen Weg hindurch. Zumal man sich seine Spur frei wählen konnte. Außer einer Handvoll Motorräder und Jeeps, vier Rennradler die mich überholten und einige E-Bikes die von der Passhöhe kamen, begegnete ich niemandem. Obwohl ich bei Steigungen von mehr als 9% weiterhin schnell an Höhe gewann, musste ich auf tolle Aussichten verzichten, was unter Umständen auch daran lag, dass das Wetter ein wenig zugezogen hatte.

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In einer der unzähligen Serpentinen am Colle delle Finestre. Für meinen Geschmack nix für ein Rennrad

So langsam spürte ich auch die zurückgelegten Höhenmeter. Ich hatte zwar noch nicht einmal den ersten Pass bezwungen, hatte jetzt aber schon mehr Höhenmeter gemacht, als bei jeder Trainingsrunde des gesamten Jahres. Erstmals kam der Gedanke auf, dass die Assietta Kammstrasse wohl ein Traum bleiben würden. Im Gegensatz zur direkten Abfahrt und dem folgenden Anstieg nach Sestriere würde dies noch einmal 10 km und 400 hm extra bedeuten. An der Alpe Casetta gut 4 km unterhalb der Passhöhe machte ich noch mal eine Pause und aß etwas. Mittlerweile war es richtig kalt geworden und ich zog mir mein Langarmtrikot über. Der Straßenbelag war bis hierhin sicher nicht besser geworden und ich wundere mich schon, wie man hier mit dem Rennrad hochfahren konnte. Ich hielt es für keine gute Idee. Es lagen schon Unmengen von großen und kleinen Steinen auf der Straße und in den nicht wenigen Serpentinen war das Ganze sehr aufgewühlt und tief und damit auch schwer zu fahren. Kurz nach meiner Pause sah ich erstmals die Passhöhe vor mir. Ich war erleichtert, denn mittlerweile war ich schon leicht angeknockt. Die Straße windet sich am Ende über viele Serpentinen rechts und links am Hang noch oben, so dass man immer wieder schöne Ausblicke auf das bereits geleistete genießen darf.

Anstieg Finestre.jpg
Serpentinen ohne Ende. Kurz vor der Passhöhe am Colle delle Finestre

Um 15:08 Uhr erreichte ich endlich die Passhöhe. Mittlerweile sah es bereits nach Regen aus. Auch von hier oben gab es nicht das ganz große Panorama. Es war schon spät, ich schon ziemlich fertig und das Wetter auch nicht mehr wirklich prickelnd. Daher war klar, dass ich auf die Assietta Kammstraße verzichten musste. Ich zog mich schnell um und machte mich an die Abfahrt. Dann begann ich einen folgenschweren Fehler. Obwohl in meinem Roadbook stand, dass ich mich kurz nach der Passhöhe in einer Serpentine rechts halten sollte, bog ich in einer Serpentine links ab weil ich überzeugt davon war, den Abzweig bei Google Streetview gesehen zu haben. Außerdem stand auf dem Schild auch Pian dell'Alpe und das war schließlich meine Richtung. Ich merkte bald, dass etwas nicht stimmte und traf kurze Zeit später einen Jeepfahrer den ich nach dem Weg nach Sestriere fragte. Zunächst deutete er an, dass ich wieder zurück und damit bergauf musste. Dann aber meinte er, weiter bergab würde auch passen. Also fuhr ich eben auf schlechtem Schotter weiter bergab.

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Blick auf Forte Serre Marie während meines Umweges vom Colle delle Finestre nach Depot

Irgendwann erreichte ich wieder Asphalt und nach einer endlosen Abfahrt mit vielen Serpentinen landete ich endlich im Tal. So genau wusste ich aber immer noch nicht, wo ich eigentlich war. Ich befand mich jetzt zwar augenscheinlich auf dem Weg nach Sestriere, wusste aber nicht wie weit es bis dorthin war. Nach kurzer Fahrt wurde es auch direkt steil und ich hatte jetzt schon Mühe, einen vernünftigen Tritt zu finden. Hier begrüßte mich dann nicht nur Gegenwind sondern natürlich auch reichlich Verkehr. Nach 6 km erreichte ich schließlich Usseaux und kurze Zeit später Pourrieres. Hier hätte ich eigentlich runterkommen sollen. Ich hätte kotzen können und meine Laune erreichte ihren Tiefpunkt. Ein Blick in mein Profil und ich wusste, dass ich noch 17 km bergauf vor mir hatte. Schöne Aussichten wenn man eigentlich schon am Anschlag fährt. Ich versuchte jetzt mein Gehirn auszuschalten und einfach nur noch stupide vor mich hinzutreten. Zwar hatte die Steigung ab Usseaux nachgelassen, mir war es aber immer noch anstrengend genug. Mir kamen tastsächlich Gedanken auf, ob es nicht sinnvoller wäre zu trampen. "Ich würde mit dem Rad heute doch nie mehr oben ankommen!" dachte ich mir. Dummerweise war der Colle del Sestriere noch einer der wenigen hohen Pässe die in meiner Palamares noch fehlten. Somit war Abkürzen keine Alternative.


Ich teilte mir die Strecke jetzt immer in 4 km Stücke ein und machte dann kurze Pausen. Teilweise wunderte ich mich selber, dass ich überhaupt noch vorankam, so müde war ich. Ab Traversa wurde es dann wieder steiler, wobei wir bei steiler hier auch nur von 6% sprechen. Mir waren das aber 6% zu viel. Kurze Zeit später zuckten meine beiden Oberschenkel. "Na toll! Jetzt noch Krämpfe, dann kann ich gleich aufhören", dachte ich mir. Zweimal musste ich vom Rad steigen um Schlimmeres zu verhindern. So langsam fragte ich mich ja schon, was ich hier überhaupt machte und warum ich mich hier quälte. Ich hatte mich so auf diesen Urlaub gefreut, aber dieser erste Tag hatte mir so rein gar nichts gegeben. In Duc, 5 km vor der Passhöhe machte ich noch einmal eine längere Pause. Mittlerweile hatte ich eher Rücken- als Gegenwind. Das war aber auch das Einzige, was meine Laune minimal verbesserte. Dann kam endlich die Passhöhe in Sicht. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals so glücklich sein würde, Sestriere zu erblicken. Schließlich zählt der Skiort zu den eher ungelungenen Ergebnissen französischer Architektur. Um 18:00 Uhr erreichte ich völlig fertig endlich die Passhöhe.

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Endlich am Ziel. Einer der Austragungsorte der Olympischen Spiele 2006 von Turin. Das 2035m hohe Sestriere

Ein kurzes Bild und ab ging es in die Abfahrt. Diese war vom Straßenbelag schlechter als gedacht, aber immerhin steil genug, dass ich nicht mittreten musste. Auch zwischen Susa und Oulx gab es kaum Abschnitte in denen meine Beine arbeiten mussten. So erreichte ich zügig um 19:00 Uhr nach 103 km, 2.650 hm und einer reinen Fahrtzeit von 6:15 h endlich wieder mein Auto. "Schön kurzer Prolog wie es sich gehört", dachte ich mir nur und schüttelte innerlich den Kopf. Ich kaufte noch kurz etwas ein und fuhr nach Bardonecchia. Dort hatte ich im Hotel Bellevue etwas oberhalb ein Zimmer reserviert. Ich duschte schnell und ging dann im Hotel Abendessen. Das war leider auch kein Highlight und der Versuch die fehlende Wasseraufnahme während der Tour durch Kampftrinken während des Abendessens zu kompensieren, endete in heftigsten Bauchschmerzen. Was für ein Tag. Um 22:00 Uhr fiel ich todmüde ins Bett. In der Nachschau musste ich dann feststellen, dass der Umweg zwar sicher schmerzhaft war, aber wohl nicht der eigentliche Grund für mein Leiden. Der Colle delle Finestre hat laut dem Europäischen Bergfahrten Archiv eine Schwierigkeit von 1.564 und ist damit sogar noch minimal härter als meine beiden bisherigen schwersten Anstiege der Colle del Nivolet und die Ötztaler Gletscherstraße. Beide waren aber in ihrer Tour die einzigen Anstiege und ich bin sie mit weit besserer Form gefahren. Nach dem Finestre hätte ich aber auch ohne Umweg noch 17 km und 600 hm vor mir gehabt. Tja, wenn man sich schon Höhenprofile ausdruckt, sollte man sie auch lesen können. Aber wie so oft wollte ich es wohl einfach nicht wahrhaben. Die erste Etappe war für meinen Fitnesszustand einfach zu viel des Guten.


Übersicht


2. Tag (Colle del Sommeiller)


Obwohl die Matratze bequem war, schlief ich schlecht und stand schon um 6:30 Uhr auf. Das Wetter war prima aber ich musste bis zum Frühstück um 8:15 Uhr ein wenig die Zeit totschlagen. Das war dann im Gegensatz zum Abendessen wirklich lecker. Um 10:00 Uhr startete ich dann meine zweite Tour. Gott sei Dank erholt man sich vom Radfahren unfassbar schnell. Während ich mir am Vorabend kaum hätte vorstellen können ein paar Stunden später wieder fast 2.000 hm zu machen, fühlte ich mich morgens gar nicht schlecht und hatte keinen schweren Beine. Ich war gerade einmal nach Bardonecchia abgefahren und hatte die ersten Höhenmeter bezwungen, da merkte ich dass ich nicht mehr aufs kleine Kettenblatt schalten konnte. Ein kurzer Blick und ich wusste was passiert war. Es hatte sich eine Kettenblattschraube gelöst und war herausgefallen. Die dazugehörende Mutter klemmte jetzt zwischen mittlerem und kleinem Kettenblatt. Das war mir auch schon zuhause kurz vor dem Urlaub passiert worauf ich alle Schrauben gewechselt hatte. „Was ist denn das für ein verflixter Urlaub“, dachte ich mir. „Kann jetzt nicht einfach mal was gut laufen!“.


Das Problem ist, dass man die Mutter nur rausnehmen kann, wenn man das kleine Kettenblatt auch abschraubt. Das wollte ich aber vermeiden, weil die Gewinde im Rahmen auch schon leicht hinüber waren und ich Angst hatte, das Kettenblatt nicht wieder fest zu kriegen. Also ging es auf dem mittleren Kettenblatt wieder den steilen Anstieg zu meiner Unterkunft zurück. Dort versuchte ich mit Klebeband die Mutter so zu fixieren, dass sie nicht mehr rausrutscht. Das schien zunächst zu halten, zur Sicherheit nahm ich aber ein Stück Klebeband mit. Um 10:30 Uhr startete ich meine zweite Tour dann zum zweiten Mal. Es ging also wieder zurück nach Bardonecchia und von dort weiter auf Asphalt Richtung Rochemolles. Während der Beginn noch recht harmlos war, kam ich nach 2 km schon wieder gut ins Schwitzen. Steigungen über 8% forderten mich auf schlechtem Asphalt schon wieder enorm. Glücklicherweise konnte ich schon bald immer wieder im Schatten fahren. Die letzten 2 km bis Rochemolles waren dann wieder erträglich. In dem kleinen Bergdorf war ganz schön was los. Ich weiß nicht, ob es dort eine besondere Veranstaltung gab oder ob es einfach als Ausgangspunkt für Wanderer dient. Ich war jedenfalls froh, als ich den Trubel hinter mir ließ.

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Blick zurück auf das kleine Bergdorf Rochemolles. Dort endet der Asphalt beim Anstieg zum Colle del Sommeiller

Hier endete dann auch der Asphalt und das Abenteuer Sommeiller begann so richtig. Während sich bis Rochemolles die Aussicht noch in Grenzen hielt, öffnete sich der Blick nun immer weiter auf die fantastische Bergwelt. Die Steigung zog sofort wieder an und so gewann ich schnell an Höhe. Glücklicherweise war der Weg aber ganz gut zu fahren. Wirklich schlechter als am Finestre schien er mir nicht zu sein. Da man auch hier völlig alleine unterwegs war, konnte ich mir meine Fahrspur völlig frei wählen und fand immer einen Weg durch die zahlreichen Steine. Nach ca. 11 km erreichte ich den schönen Stausee Lago di Rochemolles, füllte an dem Brunnen meine Wasserflasche und aß eine Kleinigkeit. Da machte es dann auch Klick und ich war erstmals so richtig im Urlaub angekommen und wusste warum ich hier war. Während ich am Vortag teilweise mit mir haderte und mir überhaupt nicht klar war, warum ich diese ganzen Anstrengungen auf mich nahm, war es mir jetzt im wahrsten Sinne des Wortes sonnenklar. Türkises Wasser, grüne Wiesen, hohe schroffe Bergspitzen und ein strahlend blauer Himmel entfachten das ein oder andere Glückshormon.

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Blick auf den Stausee Lago di Rochemolles während des Anstieges zum Colle del Sommeiller

Entlang des Stausees konnte man sich bei flacher Straße zunächst etwas ausruhen. Insgesamt ist das Flachstück ca. 3 km lang. Die kann man auch gut gebrauchen denn danach wartet ein extrem steiler Kilometer auf den Gipfelstürmer. Kurz vor dem Abzweig zum Refugio Scarfiotti wurde es dann wieder für kurze Zeit erträglich. Es warteten jetzt wieder fünf Kilometer mit mehr als 8% Steigung auf mich. Der Belag wurde auch schlechter. Während das Problem bisher nicht der durchaus feste Untergrund, sondern die kleinen und großen losen Steine waren, ragten jetzt auch immer mehr Steine aus dem Boden heraus, die man nicht gänzlich umfahren konnte. Es war jetzt ständige Konzentration auf die nächsten zwanzig Meter von Nöten. Ständig wechselte ich die Spur und manchmal musste man eben auch einfach mit etwas Speed über eine heikle Stelle fahren. Das Wetter war nach wie vor bombig und so kam ich mächtig ins Schwitzen. Schon kurz nach dem Refugio sah man auch schon die Steilstufe die es in vielen kurzen Serpentinen zu überwinden galt.

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Blick auf die Steilstufe kurz nach dem Refugio Scarfiotti während des Anstieges zum Colle del Sommeiller

Nach etwa 20 km hatte man auch diesen ersten schweren Teil überwunden und erreichte eine kleine Hochebene. Ich nutzte die Chance, machte eine kleine Pause und verpflegte mich. Für einen guten Kilometer konnte man sich jetzt bei fast flacher Fahrt etwas ausruhen, ehe die finalen fünf Kilometer anstanden. Ich hatte im Hotel einige deutsche Quadfahrer getroffen die am Tag zuvor am Sommeiller waren. Sie waren aber wohl nur bis zum Refugio gefahren und hielten den Weg bis ganz oben für einen Radfahrer eher nicht für machbar. Aus Internetbeschreibungen wusste ich auch, dass nun der schwerste Teil kommen würde, ehe die Schwierigkeiten ganz oben wieder nachlassen sollten. Ich beschloss einfach weiterzufahren so lange es eben gehen würde. Der Belag wurde in der Tat noch einmal schlechter. Teilweise waren sogar alte Asphaltstücke zu erkennen. Immer wieder gab es kurze 20-30 m lange Teilstücke, die ich nur mit „Vollgas“ (wir reden hier vielleicht von 10 anstatt von 6 km/h) überwinden konnte. Danach musste ich immer schauen, dass ich den Puls wieder etwas runter bekam. Trotzdem kam ich immer weiter voran und schnell war klar, dass ich hier nicht aufgeben würde. Notfalls müsste ich halt kurze Stücke zu Fuß gehen. Über mehrere Serpentinen gewann man schnell an Höhe und so langsam machte sich der fehlende Sauerstoff auch bemerkbar.

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Serpentinen ohne Ende, im Hintergrund das Refugio Scarfiotti. Während des Anstieges zum Colle del Sommeiller
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Blick zurück auf die Hochebene während des Anstieges zum Colle del Sommeiller

Dann kam die Passhöhe in Sicht. Ein Gefühl des Triumphes machte sich in mir breit. Aber erst musste über drei Serpentinen noch einmal ein Geröllfeld überwunden werden. Dann hatte ich es endlich geschafft. Um 14:30 Uhr erreichte ich nicht nur den Gipfel des Colle del Sommeiller sondern mit 3.009 m Höhe auch den Gipfel meiner bisherigen Radsportkarriere. Die Aussicht von oben war gar nicht so besonders. Kleine Hügel in der Umgebung verhinderten ein 360° Panorama. Ein kleiner Bergsee und freie Sicht in zwei Richtungen wussten aber schon zu gefallen. Ich war natürlich ein klein wenig stolz auf mich. Hier oben kommen nicht jeden Tag Radfahrer an. Außer einem Mountainbiker, zwei Cheepfahrern und ein paar Enduros hatte ich seit dem Refugio Niemanden gesehen.

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Auf über 3.000 m Höhe. Schönes Panorama als Belohnung für die Mühen zum Colle del Sommeiller

Ich machte eine längere Pause, ehe ich mich an der Abfahrt versuchte. Diese war dann holpriger als erwartet. Obwohl ich auch bergab kaum schneller fuhr als bergauf (die Durchschnittsgeschwindigkeit bis zum Refugio dürfte etwa 15 km/h betragen haben), schüttelte es mich ordentlich durch. Es war hier ständig Konzentration gefordert um nicht in eine unangenehme Situation zu geraten. Immer wieder machte ich kurze Pausen um mich zum einen wieder etwas zu sammeln und zum anderen meinen durch das ständige Dauerbremsen erhitzten Laufrädern eine Verschnaufpause zu gönnen. Dementsprechend froh war ich, als ich endlich das Refugio und kurze Zeit später auch den Stausee erreicht hatte.

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Blick vom Stausee ins Tal Richtung Bardonecchia während der Abfahrt vom Colle del Sommeiller

Kurze Zeit später hatte ich ab Rochemolles auch wieder Asphalt unter den Füßen. Um 16:50 Uhr erreichte ich endlich wieder Bardonecchia und fragte mich beim Anstieg zu meinem Hotel, wie ich das nur wenige Stunden zuvor auf dem mittleren Blatt geschafft hatte. Um 17:00 Uhr war meine zweite Tour nach 53 km, 1.800 hm und einer reinen Fahrtzeit von 5:12 h vorüber. Ich duschte schnell, ruhte mich etwas aus und suchte mir diesmal in der Stadt eine kleine Pizzeria, in der ich leckere Gnocchi mit Tomatensoße aß. Danach erinnerte ich mich daran, dass ich ja auch Kabelbinder dabei hatte und ersetzte meine Klebeband-MacGyver-Gedächtnis-Reparatur am Kettenblatt durch eine extrem professionelle Kabelbinderverbindung :-)

Übersicht


3. Tag (Col Basset, Monte Jafferau)


Am nächsten Morgen genoss ich noch einmal das gute Frühstück ehe ich alle meine Sachen packte, auscheckte und mit dem Auto Richtung Savoulx fuhr. In Beaulard parkte ich an einer kleinen Panetteria und kaufte noch etwas Verpflegung für den heutigen Tag. Um kurz nach 10:00 Uhr startete ich dann bei wieder bestem Wetter das Abenteuer Monte Jafferau. Da der berühmt-berüchtigte Tunnel bei der Auffahrt von Salbertrand mittlerweile gesperrt ist, entschied ich mich für die Serpentinenauffahrt ab Savoulx. Die ersten Meter bis Clots waren noch auf Asphalt zu meistern. Bereits hier ging es mit Steigungen deutlich über 10% mächtig zur Sache. Was dann jedoch kam, zog mir direkt die Socken aus. Die ersten 200 m auf Schotter waren nahezu unfahrbar. Loser Untergrund, Unmengen von kleinen und großen Steinen und eine Steigung weit jenseits der 10% Marke. Ich kämpfte mich Meter um Meter voran und mein Puls ging bis zum Anschlag nach oben. Wäre es in der Art weiter gegangen, wäre meine Tour sicher bald zu Ende gewesen. Gott sei Dank, waren diese 200 Meter die Schlimmsten des Tages, jedenfalls bis zum Col Basset. Nicht nur die Steigung ließ leicht nach, auch der Belag wurde um ein vielfaches besser. Ich fuhr nun auf einem festen Waldboden mit nur noch wenigen großen Steinen.

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Der Belag wird besser es ist aber immer noch steil. Im ersten Teil des Anstieges von Savoulx zum Monte Jafferau

In den Serpentinen hatte ich aber nach wie vor Mühe. Diese waren sehr lose mit sandigem Untergrund und fielen nach innen stark ab. Aufgrund der Steigung waren sie nur außen zu fahren. Es war immer eine heikle Angelegenheit und man durfte den Moment, an dem man nach innen kippte und wieder eine gerade Spur wählte nicht verpassen. Obwohl ich hier ausschließlich im Wald unterwegs war und dementsprechend viel im Schatten, war es trotzdem bereits sehr warum und ich musste mein Trikot öffnen. Nach 6 km machte ich bereits eine erste kurze Pause und war bis dahin nur von drei Enduro Maschinen überholt worden. Die Steigung pendelte in diesem Bereich ständig um die 10%. Nach zwei weiteren schweren Kilometern erreichte ich schließlich La Roche auf etwa 1.900 Metern Höhe. Dies besteht aus ein paar mehr oder weniger verfallenen Häusern, einem Brunnen mit Sitzgelegenheit und einer kleinen Kapelle. Ich machte noch mal eine längere Pause und freute mich, dass die Strecke bis hierin ganz gut zu fahren war. Außerdem hatte ich nun den Wald verlassen und das Tal öffnete sich ein wenig Richtung Osten, so dass sich die Aussicht verbesserte.

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Die Aussicht wird besser. Blick auf den Guglia d'Arbour kurz vor La Roche während des Anstieges zum Monte Jafferau

Kurz danach wurde es dann richtig hart. Nicht nur dass der Belag nun wieder schlechter wurde, der Anstieg wurde extrem unrhythmisch. Immer wieder gab es extrem steile Rampen zu bewältigen. Diese waren zwar meist nur 20-30 m lang. Aufgrund des extrem schwierig zu fahrenden Untergrundes, ging das aber nur mit Vollgas. In den kurzen flacheren Abschnitten gelang es mir immer gerade so, den Puls wieder nach unten zu bekommen. Kurz nachdem auf der linken Seite ein langes Gebäude passiert wurde, kam es dann noch heftiger. Es folgte eine nicht enden wollende steile Rampe mit reichlich Geröll. Ich versuchte diese wieder mit erhöhter Geschwindigkeit zu meistern. Nach kurzer Zeit kam ich aber so langsam an meine Grenzen. Da hörte ich, wie sich von hinten zwei Enduros näherten. Während ich noch am Überlegen war, ob ich ihnen Platz machen sollte oder weiter die für mich günstigste Fahrspur wählen sollte, verlor ich kurz die Konzentration. Ich fuhr direkt auf einen großen Stein auf und schwupps, war es auch schon passiert. Ich verlor das bisschen Geschwindigkeit was ich noch hatte und kippte zur Seite um. Natürlich schaffte ich es nicht rechtzeitig aus den Clickpedalen und machte somit zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem Boden.

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Es wird steiler. Eine erste harte Rampe nach La Roche während des Anstieges zum Monte Jafferau

Gott sei Dank blieb ich aber komplett unverletzt. Die beiden Enduro-Fahrer erkundigten sich auch sofort bei mir, ob alles in Ordnung wäre. Danach war erstmal Laufen angesagt. Die Rampe blieb steil und mit schlechtem Belag. Mal davon abgesehen, dass ich hier nicht hätte fahren können, wäre es mir wahrscheinlich auch gar nicht gelungen, wieder aufs Rad und rechtzeitig in die Pedale zu kommen. So lief ich bestimmt 200 Meter, bis ich wieder eine Stelle fand, ab derer ich weiterfahren konnte. Danach wurde es zwar etwas besser, aber es waren noch einige kritische Stellen zu überstehen, ehe ich endlich die T-Kreuzung mit der Einmündung vom Forte Foens erreichte. Ich wendete mich in die andere Richtung nach Osten. Der Weg blieb zwar sehr steinig, aber endlich ging die Steigung deutlich zurück. Für fast zwei Kilometer konnte ich mich nun ein wenig ausruhen. Dann erreichte ich die Stelle, an dem von unten der Weg durch den derzeit gesperrten Tunnel von Salbertrand nach oben führt. Ein Baustellenschild zeigte an, dass hier eine Sackgasse ist. Vielleicht wird ja wirklich an der Strecke bzw. dem Tunnel gebaut, das wäre sicher schön. Denn einige Meter weiter erhielt ich in einer Serpentine einen atemberaubenden Blick hinunter auf genau diese Strecke und die Ein- und Ausfahrt aus dem Tunnel.

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Blick auf die gesperrte Tunnelstrecke von Salbetrand zum Monte Jafferau. Wird sie jemals wieder befahrbar, sehen wir uns wieder :-)

Der Weg sah ebenfalls sehr abenteuerlich und damit ganz nach meinem Geschmack aus. Mein Weg hangelte sich danach bei wieder anziehender Steigung und ebenfalls mit giftigen Rampen am Hang entlang, ehe ich erstmals einen Blick auf die Passhöhe werfen konnte. In diesem Abschnitt dachte ich ein paar Mal, ich küsse gleich wieder den Schotter, konnte mich aber jedes Mal gerade noch so auf dem Rad halten. Entweder ich hatte einfach nur Glück oder ich hatte inzwischen tatsächlich so etwas wie Routine erlangt. Immerhin wurde die Aussicht nun Meter für Meter besser. Noch zwei letzte kurze Serpentinen und ich erreichte den 2.596 m hohen Col Basset.

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Blick ins Tal und auf den letzten Kilometer des Anstieges von Savoulx zum Col Basset.

Ich machte nur einen kurzen Fotostopp und wandte mich dann nach links, um einen Hügel zu umfahren. Kurz zuvor überholte mich ein Jeep, einer der ganz wenigen Begegnungen, die ich an diesem Tag hatte. Da es hier fast flach war und der Weg aus wenig grobem Schotter bestand, musste ich sogar manchmal absichtlich langsam fahren, um nicht in Verlegenheit zu kommen, den Jeep überholen zu müssen. Ich hatte am Col Basset keinen Blick mehr auf das Passprofil geworfen und wusste nur, dass ich rein von den Kilometern her bald oben sein musste. Doch als ich den Hügel umrundet hatte, kam der Schock. Vor mir erhob sich eine fast senkrechte Wand. Oben waren Gebäude zu erkennen und mitten in der Wand zeichneten sich fünf aberwitzige, dünne Striche ab, die wohl irgendwie einen Weg darstellen sollte. „Das ist jetzt nicht euer Ernst, hier kann es unmöglich rauf gehen!“ schoss es mir durch den Kopf

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Der furchteinflößende Steilhang zum Monte Jafferau. Das Bild hielt, was es versprach. Für mich größtenteils nicht fahrbar

Doch bald wurde es Gewissheit, dass dies meine nächste Herausforderung sein sollte. Ich würde daran scheitern! Schon vor der eigentlichen Steigung gab es Bereiche, die für mich unfahrbar waren. Dieser Abschnitt hatte nix mehr mit einer Schotterstraße zu tun. Der Belag bestand einfach aus riesigen Steinplatten die schräg aus dem Boden ragten. Ich schob zum zweiten und nicht zum letzten Mal an diesem Tag mein Rad. Dann folgten die fünf langen Geraden im Steilhang. Eine Steigung von ca. 15%, teils katastrophaler Belag und ein schmaler Weg ohne Randsicherung ließen mich kapitulieren. Während ich die erste Gerade noch meisterte, lief ich die nächsten vier bis fast nach oben komplett und fragte mich dabei, wie ich hier jemals wieder runter kommen sollte. Erst kurz vor Schluss stieg ich wieder für ein paar Meter aufs Rad ehe die letzten Meter dann wieder zu Fuß erklommen wurden. Dann stand ich auf der Festungsanlage am Monte Jafferau auf 2.805 m Höhe. Ich war ein wenig stolz und musste innerlich lachen auf was für bekloppte Berge mich mein Rad dieses Jahr führte. Das Panorama war in dieser Höhe natürlich vom Feinsten.

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Blick vom Monte Jafferau auf die Passhöhe des Col Basset. Im Vordergrund erste Vorposten der zerfallen Festungsanlage
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Blick vom Monte Jafferau auf die fantastische Bergkulisse und hinab ins Tal nach Bardonechia

Ich verpflegte mich und sog die tolle Atmosphäre förmlich in mich auf. Dann bekam ich Gesellschaft von einem franz. E-Mountainbiker der aber sehr gut deutsch sprach. Ich fragte ihn nach dem Weg auf der anderen Seite über die Skipiste. Die wenig überraschende Antwort war: Steil und nicht ungefährlich. Das wusste ich auch schon aus dem Internet und der eigentliche Plan sah vor, die gleiche Strecke wieder zurückzufahren. Aber irgendwie hatte ich darauf so gar keinen Bock. Allein durch den eben erklommen Steilhang hätte ich bergab nicht fahren können und auch auf der Strecke ab dem Col Basset hätte es sicher immer mal wieder Stellen gegeben, an denen ich mich schwer getan hätte. „Wenn schon laufen, dann wenigstens den deutlich kürzeren Weg!“, sagte ich mir. Also folgte ich hinter der Festung dem Weg hinab über die Skipiste. Während die ersten Meter noch fahrbar waren, überschritt der Weg rasch meine fahrerischen Grenzen. Zu steil, zu viel Gestein gepaart mit grobem Schotter. Von den folgenden ca. 600 hm musste ich bestimmt 80% zu Fuß zurücklegen. Da ich auch im Laufen ständig mein Rad bremsen musste und während der kurzen Fahrpassagen sowieso Dauerbremsen angesagt war, musste ich auch ab und zu Pausen einlegen, um meine Felge etwas runter zu kühlen. Auch hier verhinderte ich einige Male nur knapp einen Sturz und so war ich unendlich froh, den Waldrand zu erreichen.


Sofort wurde der Belag besser. Auf teilweise weichem Waldboden erreichte ich so rasch das Hotel Jafferau. Von dort ging es auf bestem Asphalt und einigen Serpentinen hinab nach Bardonecchia, lustiger Weise direkt an meinem am Morgen verlassenen Hotel vorbei. Ich versuchte dann, die eigentlich aufgrund von Bauarbeiten gesperrte Straße in Richtung Savoulx zu fahren. Dies war für Radfahrer auch möglich. Jedenfalls wenn man nicht so blöd ist und vor lauter in der Gegend rumgucken auf die riesigen Plastikpoller fährt, welche die Straße komplett absperrten. Ich sah gerade noch im richtigen Moment nach vorne und konnte bremsen. Das wäre wirklich das Highlight gewesen, wenn ich nach all den schwierigen Passagen des Tages hier einen Abflug gemacht hätte.


Bald erreichte ich wieder Beaulard und hatte nach 42 km, 1.700 hm und einer reinen Fahrtzeit von 4:08 h auch meine dritte Etappe gemeistert. Ich kaufte etwas ein und fuhr mit dem Auto nach Briancon. Dort musste ich leider feststellen, dass mein Handy-Navi die Worte „Wenden Sie“ wohl nicht kennt. Jedenfalls fuhr ich in Briancon sicher eine Viertelstunde im Kreis, weil einige Straßen gesperrt waren und mein Navi mich ständig auf andere Routen lotste anstatt mich einfach umdrehen zu lassen. Schließlich erreichte ich mein Hotel Saint Antoine. Ich gönnte mir abends eine Pizza auf dem Zimmer und stellte fest, dass ich mein Handyladekabel im letzten Hotel vergessen hatte. Das war wirklich ein Schock. Dazu sei gesagt, dass ich kein übertriebener Handynutzer bin und dem technischen „Fortschritt“ in allen Belangen eher kritisch gegenüber stehe. Aber ich hatte mich tatsächlich schon so an das Teil gewöhnt, dass ich mir ohne ziemlich verloren vorkam. Wie sollte ich jetzt mit meiner Frau zuhause kommunizieren, die sich ob meiner etwas waghalsigen Alleinfahrt natürlich Sorgen machte. Wie sollte ich heute Abend entscheiden, ob ich morgen beide auf dem Plan stehenden Pässe oder doch besser nur einen und wenn ja welchen fahren sollte? Wie sollte ich für die beiden letzten Tage in Guillestre ein Hotel buchen? Zumindest die beiden ersten Punkte konnte ich noch am selben Abend erledigen, denn die freundliche Hotelinhaberin lieh mir ihr Kabel über Nacht aus. Spät am Abend fiel dann auch die Entscheidung, am nächsten Tag nur den Col du Gondran zu fahren und auf den Col de Granon zu verzichten.

Übersicht


4. Tag (Col du Gondran, Le Janus)


Nach einer mal wieder eher kurzen Nacht genoss ich das typisch französische, süße Frühstück und schaffte es sogar, im Carefour Market noch ein Handyladekabel aufzutreiben. Um 9:19 Uhr startete ich wieder bei strahlend blauem Himmel Etappe 4. Ich machte mir zuerst Sorgen, dass ich den richtigen Einstieg zum Col du Gondran nicht finden würde. Ich war schon eine ganze Weile auf der Straße Richtung Izoard unterwegs und wollte gerade in der Karte nachschauen, da sah ich den kleinen Parkplatz und damit den Beginn der Straße. Der Abzweig kommt auf der linken Seite kurz nach der KM16 Marke auf dem Weg zum Col d’Izoard. Bis zu meiner ersten Pause am Fort d’Anjou war der Weg problemlos zu fahren. Es gab zwar immer wieder aufgerissen Stellen oder ein wenig Kies und auch mal größere Steine, aber ansonsten machte der Asphalt noch einen intakten Eindruck und war natürlich kein Vergleich zu den bisherigen Wegen. Nur an ganz kurzen Stellen fehlte der Asphalt auch mal komplett. Allerdings sah man bereits hier, dass der Anstieg wie bei Quäldich.de beschrieben Steinschlag gefährdet ist. Nicht nur dass an den Hängen teils verdächtig lose aussehende große Gesteinsbrocken zu sehen waren. Die vielen großen Steine am Straßenrand zeugten auch davon, dass hier tatsächlich immer mal wieder mit größeren Abgängen zu rechnen ist. Da der Anstieg bis hierhin komplett im Wald verlief, fuhr ich zum einen fast ausnahmslos im Schatten, zum anderen musste ich bis auf kleine Ausblicke ins Tal oder Richtung Izoard auf hübsche Anblicke verzichten. Immerhin durfte ich einen ganz kurzen Naturtunnel durchfahren.

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Blick zurück auf den ersten kurzen Tunnel beim Anstieg von Briancon zum Col du Gondran

Ansonsten war der Anstieg schön zu fahren, nie wirklich steil und sehr gleichmäßig. Bei der Weiterfahrt am Fort war wieder ein Schild Route Militaire. Auf dem Bild waren aber nur ein Motorrad und ein Auto abgebildet, also ging ich mal davon aus, dass ich mit meinem Bike hier fahren durfte. Es folgte der steilste Teil des bisherigen Weges, die 10% Marke wurde aber auch hier nicht überschritten. Wieder ein kurzes Naturtunnel und eine Serpentine später wurde es dann für zwei Kilometer deutlich flacher. Ich begegnete jetzt tatsächlich auch zwei Autos, eines kam von oben, eines von unten und überholte mich. Ansonsten war weit und breit niemand zu sehen. Man konnte nun auch mal einen Blick auf den bisher zurückgelegten Weg werfen und auch die Aussicht auf die umliegenden Berge wurde langsam besser.

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Die Aussicht ins Tal wird langsam besser. Blick auf Briancon während des Anstieges zum Col du Gondran

Kurze Zeit später zweigte nach rechts ein Schotterweg ab, der aber glaube ich nur zu einer Häusersammlung führte. Direkt dort war wieder ein Verbotsschild Route Militaire aufgestellt. Diesmal mit den Worten Danger du Mort am Ende. Ich bin jetzt nicht der große Französisch Experte, aber das hieß wohl Lebensgefahr. Auf dem Schild stand noch mehr unter anderem ein Zeitraum Dezember bis April. Ich konnte aber nicht erkennen, ob man jetzt in diesem Zeitraum fahren durfte oder eben nicht. Dummerweise habe ich es auch nicht fotografiert. Nach dem Motto „was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ fuhr ich erstmal weiter. Dann kam erstmals die vermeintliche Passhöhe in Sicht. Die Straße zog sich jetzt aber doch noch einmal relativ lang und steil am Hang entlang, ehe über eine letzte Serpentine die Passhöhe des Col du Gondran erreicht wurde.

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Blick zurück auf die Hangquerung kurz vor der Passhöhe des Col du Gondran

Leider gab es hier kein Pass-Schild. Im Hintergrund meinte ich des Öfteren Gewehrschüsse gehört zu haben. Scheinbar war irgendwo in der Ferne tatsächlich Militär aktiv. Zur eigenen Sicherheit rate ich jedem der hier fährt, sich den Text auf den Schildern lieber genau durchzulesen und notfalls übersetzen zu lassen. Ich glaube zwar nicht, dass die Franzosen irgendwo scharf schießen und das nur mit einem Schild absichern. Allerdings sind wir auch nicht in Deutschland, wo so etwas mir zehn Absperrungen und fünf Bundeswehrposten geregelt wird. Die Aussicht von hier oben war top. Neben der tollen Bergkulisse gab es in der Nähe auch einige mehr oder wenig verfallenen Militärgebäude zu sehen. Ich setzte meine Fahrt, nun auf gut zu fahrendem Schotter nach Norden fort, umrundete einen kleinen Hügel und dann kam er in Sicht…Le Janus.

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Ist das Schloss Dracula? Soll ich hier wirklich rauf? Blick kurz nach dem Col du Gondran auf die Festungsanlage Le Janus

Trefflicher als Renko ihn bei Quäldich.de beschrieben hat, kann man ihn nicht beschreiben: „Ich komme mir vor, als befände ich mich in Siebenbürgen und stünde vor der Auffahrt zum Schloss Dracula.“ Während die ganze Passhöhe nur leicht ins Tal abfällt und mit saftigem Grün bedeckt ist, ragt aus ihr ein steiler Schotterhügel hervor durch den sich kühn in den Hang gesetzt eine kleine Straße zieht. Hoch oben thronen die alten Militärgebäude der Festung Le Janus. Mit jedem Stein scheint dir dieser Berg zu sagen: „Du fährst hier besser nicht rauf!“ Für den abenteuerlustigen Radfahrer ist dies natürlich nicht als Abschreckung sondern als Einladung zu verstehen. Noch vor dem Einstieg waren wieder Verbotsschilder zu sehen, direkt am Einstieg noch eine zusätzliche Schranke. So ein wenig mulmig wurde es mir jetzt schon. Ich sah aber auf dem Weg ein paar Wanderer, die mir aufgrund der unterschiedlichen Kleidung nicht nach Militärangehörigen aussahen. Und falls doch würden die mir schon zu verstehen geben, dass ich es besser lassen sollte. Also versuchte ich mein Glück. Der Weg war eigentlich ganz gut zu fahren. Zwar sehr steil aber in der Mitte fand ich meist einen etwas festeren Untergrund und daher genug Gripp.

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Blick zurück auf den Anstieg vom Col du Gondran zur Festungsanlage Le Janus. Mit meinem Crossbike fast vollständig fahrbar

Dreimal musste ich trotzdem absteigen. An einer Stelle kippte der Weg so sehr nach innen ab, dass ich Angst hatte die Haftung zu verlieren. Dies ist ein generelles Problem bis zum Gipfel. Einmal fuhr ich auf die Wanderer vor mir auf und nutzte diese Tatsache um eine kleine Verschnaufpause einzulegen und kurz vor Schluss ging ich nochmal kurz vom Rad. Ansonsten waren nur ein paar wenige schwierige Stellen welche ich nur mit Vollgas bewältigen konnte ein Problem. Außerdem musste man bei den quer verlaufenden Wasserrinnen vorsichtig sein, weil diese voll von grobem Schotter waren. Ich denke aber jemand, der wirklich fit ist und sein Bike besser beherrscht als ich, dürfte hier problemlos ohne abzusteigen oben ankommen. Die Aussicht von oben war dann vom Allerfeinsten, ein 360° Panorama wie man es eher selten zu Gesicht bekommt.

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Blick hinab von Le Janus auf die Abfahrt nach Montegenevre. Im Hintergrund der mächtige 3.320 m hohe Pic de Rochebrune
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Blick von Le Janus auf die Abfahrt von Montgenevre nach Briancon. Im Hintergrund das langezogene Val des Pres

Ich verzichtete darauf die vielen alten zerfallen Gebäude zu besichtigen. Das ist ohne Risiko natürlich auch nicht möglich, weil hier wirklich nichts in Stand gehalten wird. Trotzdem machte ich eine längere Pause und stärkte mich für die Abfahrt. Hier musste man dann wieder höchste Konzentration walten lassen. Sobald man den festen Untergrund verließ, wurde es auch sofort rutschig. Einige Male konnte ich nur mit Mühe einen Sturz vermeiden. Für die weitere Abfahrt wählte ich dann die Route zum Col du Montgenevre. Was von oben noch wie eine leicht zu fahrende feine Schotterstrecke aussah, entpuppte sich zwar zu Beginn als feste Naturstraße. Schon nach ein paar hundert Metern musste ich aber immer wieder größere grobschottrige Abschnitte überstehen. Vor allem kurz nach Passieren des Lac des Agnes wurde es heftig, weil auch sehr steil.

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Blick auf den hübschen Lac des Agnes während der Abfahrt vom Col du Gondran nach Montegenevre

Mit Eintritt in den Wald wurde es dann aber deutlich besser. Schließlich erreichte ich Montegenevre. Ich hatte mich hier auf der Abfahrt nach Briancon eigentlich auf reichlich Verkehr eingestellt, aber Pustekuchen: Ich hatte die Abfahrt quasi für mich alleine. Da ich außerdem einen top Belag vorfand, machte das hier jetzt richtig Spaß. Erst an einer Baustelle mit Ampelschaltung fuhr ich auf ein paar Autos auf. Meine Trinkflaschen waren zu dem Zeitpunkt leer. Trotzdem versuchte ich aus beiden noch etwas herauszupressen. Der französische Fahrer eines Kleinbusses hinter mir sah das wohl, hupte mir und drängte mich förmlich, sein angebotenes Wasser in meine Trinkflaschen umzufüllen. Ich war zwar kurz vor dem Ziel, nahm das nette Angebot aber dankend an. Rasch erreichte ich dann um 14:00 Uhr nach 41 km, 1.350 hm und einer reinen Fahrtzeit von 3:10 h Briancon.


Ich fuhr zurück zu meinem Hotel, lud mein Auto ein und steuerte meine letzte Station in Guillestre an. Da ich kein Hotel vorgebucht hatte, fragte ich im Tourismus Büro nach einer geeigneten Unterkunft. 30 Minuten und zig Telefonate später hatte ich schließlich ein Zimmer im Hotel Auberge de L'Echauguette in Mont Dauphin gebucht. Als ich den Straßenschilder folgend in Mont Dauphin ankam, staunte ich nicht schlecht. Ich dachte erst ich wäre hier falsch, ging es doch durch ein großes Tor und über eine Holzbrücke in eine Festungsanlage. Aber genau dort befindet sich eben das kleine Dorf Mont Dauphin. Mein Hotelzimmer war zwar sehr nett, hatte aber nur ein privates WC auf dem Flur. Aber damit konnte ich leben. Ich aß im Hotel sehr gut zu Abend und legte mich bald danach schlafen.

Übersicht


5. Tag (Col du Parpaillon)


Ich aß im Hotel sehr gut zu Abend, wachte aber schon um 5:30 Uhr auf. Nach einem typischen franz. Frühstück packte ich meine Sachen und fuhr mit dem Auto nach Embrun. Unterhalb von Embrun direkt an einer Brücke der Durance parkte ich und startete um 9:20 Uhr das Abenteuer Col du Parpaillon. Der zunächst noch asphaltierte Anstieg begann sehr unrhythmisch mit einigen kurzen steileren Abschnitten. Da er zumeist in der Sonne verlief, kam ich bei erneut sonnigem Wetter enorm ins Schwitzen. Leider spürte ich erstmals im Urlaub auch mein lädiertes rechtes Knie. Die Anstrengungen der letzten Tage und wahrscheinlich vor allem die „Wanderung“ von Monte Jafferau hinunter hatten eben ihre Spuren hinterlassen. Die Straße verlief sehr windungsreich durch einige kleine Orte. Nach einer Weile durfte ich schöne Blicke ins Tal und Richtung Lac de Serre-Poncon werfen.

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Blick Richtung Lac de Serre-Poncon zu Beginn des Anstieges zum Col du Parpaillon

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Der Blick zurück ins Tal zu Beginn des Anstieges von Embrun zum Col du Parpaillon

Nach etwa fünf Kilometern wurde es dann für ca. zwei Kilometer deutlich flacher und ich erreichte Le Villard. Später überquerte ich den Gebirgsbach Torrent de Crevoux und folgte diesem eine lange Zeit. Nach 10 km gönnte ich mir eine erste kleine Pause. Ich spürte mittlerweile auch meinen Hintern und wechselte jetzt öfters mal in den Wiegetritt. Um 10:45 erreichte ich schließlich La Chalp und damit fast das Ende der Asphaltstrecke. Ich war bereits ganz schön müde, hatte schwere Beine und einen schmerzendes Hinterteil. „Aber gut, den Parpaillon nimmt man nicht im Vorbeigehen mit, der darf sich schon ordentlich wehren“ dachte ich mir. La Chalp ist ein nettes kleines Bergdorf mit uralten Häusern, welche aber wohl zum Großteil noch bewohnt werden.

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Blick auf La Chalp, kurz vor Ende des Asphalts während des Anstieges von Embrun zum Col du Parpaillon

Direkt am ersten Haus gab es auf der linken Seite einen Brunnen den ich nutzte, um die Wasservorräte aufzufüllen. Außerdem gönnte ich mir etwas zu Essen. Bis hierher wand sich der Anstieg serpentinenarm immer weiter Richtung Osten das Tal nach oben. Erst kurz vor La Chalp durfte ich einige Serpentinen überwinden. Verkehr gab es hier praktisch keinen. Zwei Cheeps und zwei Rennradler waren in den ersten 2,5 Stunden meine einzigen Begegnungen. Die Sonne brannte zwar nach wie vor aber am Horizont tauchten erste Schleierwolken auf. Na hoffentlich würde das Wetter halten. Nach La Chalp ging es ein kurzes Stück bergab ehe man über eine Rechtskurve den Fluss überquerte und einen neuen Abschnitt einleitete. Die Straße wurde nun deutlich schmaler und auch deutlich steiler. Die letzten zehn Kilometer bis zum Gipfel durfte man im Schnitt mit über 9% überwinden. Immerhin versüßten mir einige Serpentinen und eine leichte Brise von hinten die Arbeit. Es hatte inzwischen deutlich abgekühlt und ich machte mir Sorgen, ob das Wetter wirklich halten würde. Laut Tacho waren es zwar immer noch 19°. Mir kam es aber in meinem nass geschwitzten Trikot deutlich kühler vor. Dafür fühlten sich meine Beine seit der Pause wesentlich besser an und ich kam trotz der Steigung gut voran. Rasch erreichte ich die kleine Kapelle und damit den Beginn des Schotters. Ein paar letzte flache Meter zum Ausruhen, dann ging es los.


Anders als ich in einem Bericht im Internet gelesen hatte, waren nicht die ersten paar Meter das Schlimmste. Die Wegbeschaffenheit änderte sich auf den ersten Kilometern eigentlich kaum. Es lag zwar eher wenig grober, loser Schotter auf der Straße, dafür ragten eben auch immer wieder größere oder kleinere Steine aus dem Boden. Ich fand aber meist eine gute Spur und kam daher gut voran. Meist fuhr ich ganz links, weil dort der Belag festgefahren war. Ein wenig Vorsicht war dann aber trotzdem geboten, weil es dort auch relative steil den Hang hinunter ging. Auf ca. 2.150 m Höhe machte ich auf einer kleinen Wiese mit einem Gedenkkreuz eine längere Rast. Dort waren auch etliche italienische Cheepfahrer die wohl zu einer Weinprobe hier rauf gefahren waren. Im Bereich dieses Rastplatzes war in Bezug auf die Bodenbeschaffenheit wohl auch der schwierigste Teil der Strecke zu überwinden.

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Blick zurück auf die Serpentinen vor der gemütlichen Wiese, welche zum Rasten einlädt, etwa fünf Kilometer unterhalb der Passhöhe

Es folgten die letzten fünf Kilometer bis zum Gipfel. Die Straße wand sich weiter das Tal nach oben und man wusste nie so genau, wo es als nächstes weiter gehen würde. Leider zogen auch wieder dunklere Wolken auf und es kühlte auf deutlich unter 20° ab. Wieder war ich fast komplett alleine unterwegs. Von der Rast bis zum Tunnelportal begegnete ich nur zwei Enduro Fahrern. Dann folgten die letzten Serpentinen. Ich ahnte jetzt schon die Passhöhe bzw. das Tunnelportal vorher. Obwohl ich fast schon oben war und damit bereits über 2.500 m hoch, war die Aussicht sehr begrenzt, zu hoch waren die umliegenden Berge. Auf diesen letzten beiden Kilometern wurde der Belag sogar noch einmal etwas besser. Während ich auf der einen Seite froh war, bald oben zu sein, war ich auch etwas traurig und konnte es gar nicht so richtig fassen, dass ich hier die letzten Meter Schotter meines Urlaubs unter mir hatte. „Ich hatte soviel erlebt und jetzt sollte das alles schon wieder zu Ende sein?“ Ich ertappte mich dabei, absichtlich langsam zu fahren um diesen Moment so lange wie möglich hinauszuzögern.

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So langsam erahne ich die Passhöhe. In den letzten Serpentinen kurz vor dem Tunnelportal des Col du Parpaillon

Doch dann war es soweit. Wie beschrieben fuhr ich um eine Kurve und da war es, das Tunnelportal. Es war ein erhebender Moment. Ich konnte es irgendwie gar nicht fassen. Unzählige Male hatte ich dieses Bild schon gesehen, die Horrorgeschichten aus dem Tunnel gelesen und gedacht: „Mensch, da musst du auch unbedingt mal hin!“ Jetzt stand ich also hier und hatte mir wieder einmal einen Traum erfüllt. Schön dass ich diesen Moment ganz alleine genießen durfte. Ich inspizierte den Tunneleingang und er sah einigermaßen eben und trocken aus. Also gleich zwei Vorderlichter ans Rad und los ging es. Kurz nachdem ich in das dunkle Nichts eingetaucht war, verflog die Euphorie. Zwar gab es in der Mitte wie beschrieben keine Schlaglöcher, dafür aber teils tiefen Schlamm, der das Fortkommen erschwerte. Aber auch das stand ja alles so im Internet. Also wechselte ich bald schon auf die rechte Seite und durchfuhr ein Schlagloch nach dem anderen. Das ist schon so ein wenig wie Achterbahnfahren rückwärts. Da sämtliche Löcher mit Wasser gefüllt sind, hat man nie eine Ahnung wie tief sie sind. Obwohl es nämlich die letzten Tage nicht geregnet hatte, tropfte von der Decke unaufhörlich Wasser. Das einzig Positive war, dass ich schon nach ca. 50 Meter wieder einen kleinen Lichtschein am Ende des Tunnels entdeckte. Das beruhigt einen doch sehr.

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Plötzlich steht er vor mir. Der Tunnel des Col du Parpaillon, gespenstisch und doch irgendwie wunderschön

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Was auf dem Bild noch ganz nett zu fahren scheint, ist in Wirklichkeit ein ziemliches Abenteuer und nicht ganz ungefährlich. Der unbeleuchtete Scheiteltunnel des Col du Parpaillon

Ansonsten kämpfte ich mich eher schlecht als recht Meter um Meter nach vorne. Ich hatte vielleicht noch 100 Meter vor mir, da hörte ich, dass sich von hinten ein Jeep näherte. Gleichzeitig fiel mir ein, dass ich mein Rücklicht nicht montiert hatte. Leichte Panik überkam mich. Obwohl es wohl ziemlich unwahrscheinlich war, dass man mich im Tunnel übersehen konnte, hatte ich jetzt genau davor Angst. Das Geräusch wurde immer lauter und lauter und ich wähnte das Fahrzeug schon direkt hinter mir. Also gab ich Gas und hoffte, dass es schon irgendwie gut gehen würde. Ich bretterte also durch die Schlaglöcher und wartete eigentlich nur darauf, dass mich eines zu Fall bringen würde. Aber es ging gut. Ich schaffte es vor dem Jeep aus dem Tunnel und war heil froh. Auf der anderen Seite waren auch zwei Geländefahrzeuge und wir machten gegenseitig Bilder von uns. Ich schoss noch ein paar Fotos von der Landschaft und ließ noch drei Jeeps passieren, ehe ich mich auf den Rückweg machte.

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Blick auf die ersten Meter der Abfahrt vom Col du Parpaillon hinab Richtung Jausiers

Es war wieder ein mulmiges Gefühl aber beim zweiten Mal hat man schon mehr Vertrauen und dieses Mal störte mich auch niemand. Ich war kaum auf der anderen Seite da kamen von unten drei Jeeps und zwei Enduros angebraust. Jetzt hatte ich in den paar Minuten am Tunnel wirklich mehr Fahrzeuge gesehen als den ganzen restlichen Tag. Dann ging es zurück nach Embrun. Die Abfahrt war dann irgendwie nicht so gut zu fahren wie erhofft. Obwohl ich bergab ja auch nicht viel schneller fuhr als bergauf (ok vielleicht doppelt so schnell, aber das ist ja immer noch langsam), wurde ich ordentlich durchgeschüttelt. Das Problem ist einfach immer wieder die Konzentration zu halten und sich auf die nächsten 20-30 zu fahrenden Meter zu konzentrieren. Es wurde auch wieder richtig kalt, dunkle Wolken und Nebel war aufgezogen. Insgesamt hatte ich wohl eher Glück gehabt, dass es nicht zu einem kompletten Wetterumschwung kam. Ich war dementsprechend froh, als ich wieder Asphalt unter den Rädern hatte und um 14:55 Uhr mein Auto erreichte. Für den Tag standen 54 km, 1.800 hm und eine reine Fahrtzeit von 4:23 h zu buche. Mein Crossbike Urlaub war damit zu Ende und ich lobte mein Rad dafür, dass es alles mehr oder weniger klaglos überstanden hatte. Ich fuhr zurück ins Hotel und machte für den nächsten Tag mein Rennrad fit. Denn noch hatte ich einen Tag und der sollte endlich den Col d’Agnel als erfolgreichen Abschluss haben. Nach einem erneut guten Essen ging es dann auch früh zu Bett.

Übersicht


6. Tag (Col d'Agnel)


Ich schlief ein wenig länger als am Vortag und wieder ging mein erster Weg zum Fenster. Bombenwetter! So hatte ich mir das vorgestellt. Wieder ging es zunächst mit dem Auto in den nächsten Supermarkt um etwas Proviant zu kaufen und dann weiter Richtung Col d’Agnel. Der ursprüngliche Plan hatte ja vorgesehen von Guillestre aus zu starten. Das hätte dann aber 42 km bergauf bedeutet. Da ich nach der Tour aber gleich wieder mit dem Auto ca. 8 Stunden Heimfahrt vor mir hatte, kam mir das ein wenig lange vor. Allerdings stand der Agnel bisher nicht in meiner Palamares. Schon zwei Mal hatte er auf dem Plan gestanden. Auf meiner Genf-Nizza Tour 2011 dachte ich bei der Planung tatsächlich ich kann nach dem Col d‘Izoard und vor dem Col de Vars noch schnell den Abstechter zum Agnel mitnehmen. Gott sei Dank merkte ich schon auf dem Izoard dass das ne blöde Idee war, sonst wäre ich wohl nie angekommen. Der weiße Fleck sollte dann bei meiner letzten Alpentour 2015 getilgt werden. Nach vier Tagen bei 35° Hitze holte mich aber ein Sonnenstich vom Rad. Ich musste mich damals von Sampeyre aus mit dem Taxi auf den Agnel fahren lassen und rollte von dort Richtung Briancon. War das also jetzt statthaft erst ab Chateau-Ville-Vieille zu starten? Ich entschied mich letztlich für Ja. Erstens gibt es immer einen tieferen Punkt den man auswählen könnte wenn man nicht grad vom Meer aus startet und Zweitens hätte ich den Agnel ursprünglich vom Izoard aus kommend und auch nicht von Guillestre aus gefahren. So fuhr ich also mit dem Auto durch die tolle Schlucht die Le Guil geschaffen hatte und parkte mein Auto in Chateau-Queyras kurz nach dem Abzweig zum Izoard. Um 09:09 Uhr startete ich meine letzte Tour.


Es ging zunächst ein Stück bergab und dann fast flach weiter. So durfte ich mich auf knapp drei Kilometern einrollen. Dann aber ging es zur Sache. Es folgte direkt eine steile Rampe und danach ging es auch eher unrhythmisch weiter. Apropos Rhythmus, ich fand überhaupt keinen. Ich war immer noch die Trittfrequenzen von meinem Crossrad gewohnt, die ich mit deutlich anderer Übersetzung hier aber nicht fahren konnte. Ständig fuhr ich einfach viel zu schnell und musste immer wieder Tempo rausnehmen. Dummerweise hatte mein Tacho den Umbau vom Crossbike nicht überstanden, so dass mir auch die Rückmeldung der Geschwindigkeit fehlte. Es dauerte sehr lange bis ich akzeptiert hatte, dass die Trittfrequenz jetzt eher wieder Richtung 60 gehen würde. Immerhin fuhr ich noch große Teile im Schatten, so dass ich nicht zu sehr ins Schwitzen kam. Die Aussicht hielt sich in diesem Streckenabschnitt noch in Grenzen. Immerhin wurden immer mal wieder kleine Bergdörfer durchquert. Bei Molines-en-Queyras wäre ich fast weiter geradeaus gefahren und dann in Saint Veran gelandet. Im letzten Augenblick sah ich, dass es zum Agnel nach links ging. Das hätte dem König des Verfahrens ja ähnlich gesehen! Etwa dreizehn Kilometer vor dem Gipfel, kurz nach Fontgillarde wurde es dann für etwa drei Kilometer deutlich flacher. Die Landschaft wurde auch interessanter. Saftig grüne Wiesen und dunkelgrüne Nadelbäume so wie rechts von mir der kleine Bergbach L’Aigue Blanche waren nun meine Begleiter.

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Schöne Aussichten Richtung Passhöhe Col d'Agnel. Leider verhinderte die noch tiefstehende Sonne noch schönere Bilder

Schon kurze Zeit später konnte ich sogar schon die Passhöhe erahnen. Die Straße schlängelte sich jetzt immer Richtung Südosten ohne Serpentinen der Passhöhe entgegen. Etwa sechs Kilometer vor dem Gipfel beginnt der steile Schlussanstieg. Etwa 9 Prozent Steigung sind ab hier zu bewältigen und das spürte ich auch deutlich. Die Trittfrequenz ging in den Keller und die dünne Luft auf inzwischen deutlich über 2.000 m Höhe tat ihr Übriges. Ich lieferte mir ein imaginäres Rennen mit einem anderen Rennradler der ähnlich schnell fuhr wie ich und auch immer wieder Fotostopps einlegte. So überholten wir uns des Öfteren. Irgendwann musste ich dann aber eine kleine Pause einlegen und etwas essen, von da an sah ich ihn nur noch von weitem. Das Bild der Passhöhe kam nur langsam näher aber ich musste hier auch nicht schnell fahren. Es waren die letzten Meter meines Urlaubes bergauf und die wollte ich genießen. Das war auf Asphalt auch möglich. Während auf den Schotterstrecken während des Fahrens mein Blick immer nur geradeaus auf den Weg gerichtet war, genoss ich es jetzt, meine Blicke ringsherum schweifen zu lassen.

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Kurz vor der Passhöhe des Col d'Agnel. Der Blick zurück ins Tal Richtung Chateau-Queyras

Über ein paar Serpentinen und einen weiten Rechtsbogen erreichte ich schließlich um 11:20 Uhr den Col d‘Agnel. Ich ballte kurz die Faust. Endlich hatte ich auch diesen weißen Fleck auf meiner Landkarte getilgt und gleichzeitig auch eines meiner schwärzesten Radsportkapiteln mit der Taxifahrt auf die Passhöhe zu einem versöhnlichen Abschluss gebracht. Ich verbrachte viel Zeit oben, weil ich wusste, dass ich so ein Panorama lange nicht würde sehen können. Ich hatte schon längst mein Langarmtrikot an und war bereit für die Abfahrt. Trotzdem gönnte ich mir immer noch einen Blick und noch einen. Aber auch die schönsten Momente gehen irgendwann vorüber. Also stürzte ich mich in die Abfahrt.

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Blick auf die Südauffahrt von Casteldelfino zum Col d'Agnel

Die war dann ein Traum. Zu Beginn noch ein paar Serpentinen, dann hielt einen nichts mehr auf. Einfach laufen lassen war die Devise. Zum krönenden Abschluss hatte ich fast die ganze Abfahrt für mich alleine. Ich überholte auf den ersten zehn Kilometer ein einziges Auto, ansonsten war ich alleine mit dem Asphalt. So erreichte ich schon bald um kurz nach 12 Uhr wieder mein Auto und nach 46 km, 1.400 hm und einer Fahrtzeit von ca. 2:45 h war auch meine letzte Etappe beendet. Ich packte alles ins Auto suchte mir noch ein geeignetes Plätzchen, um mich etwas zu waschen und trat die Heimreise an. Ich brauche ja nicht zu erwähnen, dass ich bei Oulx eine falsche Autobahnauffahrt nahm und für 25 km keine Abfahrt und somit Wendemöglichkeit fand. Nach 9 Stunden Autofahrt ohne große Pausen erreichte ich dann um kurz vor 22:00 Uhr wieder Stutensee und mein Urlaub war endgültig Geschichte.


Fazit


Es war sicher mein abenteuerlichster Urlaub bisher. Aber das hatte ich auch nicht anders erwartet. Die Anblicke von Le Janus und vom Monte Jafferau werde ich wohl mein Leben lang nicht vergessen. Mit dem Colle del Sommeiller habe ich meinen Höhenrekord auf über 3.000 m geschraubt. Mit dem Col d’Agnel eine Rechnung beglichen und mir mit dem Col du Parpaillon einen absoluten Traum erfüllt. Das Wetter war glücklicherweise auch top. Nicht einen Regentropfen während des gesamten Urlaubes hatte ich noch nicht so oft erleben dürfen. Die Wege waren schlechter als gedacht und mein Crossbike eigentlich nicht das perfekte Rad dafür. Das ist auch das einzig Negative was mir in Erinnerung bleiben wird. Die Tatsache während der Auffahrten nicht ständig die Blicke schweifen zu lassen, mindern das Vergnügen doch erheblich. Auf der anderen Seite war ich bei jeder Tour quasi alleine unterwegs und das ist schon ein echter Pluspunkt und in den Alpen leider keine Selbstverständlichkeit, jedenfalls nicht auf asphaltierten Straßen. Bis auf die erste Tour hatte ich auch gut geplant. Trotz meines schlechten Fitnesszustandes kam ich danach nicht mehr an meine Grenzen.


Die zwei Hotelwechsel waren sicher auch nicht optimal, ließen sich ob der Größe des abzudeckenden Gebietes aber nicht verhindern. Wenn man im Schnitt nur zwei Übernachtungen hat, kommt man auch nicht wirklich zum Auspacken und hat was davon. Ich habe für mich festgestellt, dass es einfacher ist, mit Gepäck zu fahren. Da macht man sich einmal vor der Tour Gedanken was man mitnimmt und danach heißt es einfach morgens alles einpacken und weiter geht’s. Normalerweise habe ich nach einer Tour immer schon Pläne und Ziele für das nächste Jahr. Diesmal weiß ich tatsächlich nicht wohin die Reise geht. Einerseits würde ich gerne das Hochtor bezwingen, den letzten mir fehlenden Alpenpass über 2.000 m Höhe. Andererseits kann ich mir auch nochmal eine Tour mit dem Crossbike vorstellen. Vielleicht lässt es sich ja auch irgendwie verbinden. Und ich ertappe mich bereits, mich nach einem richtigen Mountainbike umzusehen um noch flexibler zu sein. Wir werden sehen. Hauptsache es gibt nächstes Jahr überhaupt wieder was zu berichten!