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3. Teilnahme Ötztaler Radmarathon (230 km, 5250 hm) 31.08.14


Nachdem ich vor zwei Jahren unter anderem durch einen Sturz am Jaufenpass meinen Traum von einer Sub9 Zeit begraben musste und in 9:20 h durchs Ziel gerollt war, wollte ich dieses Jahr einen neuen Anlauf starten. Die Saisonvorbereitung begann im letzen Jahr sehr schleppend, bis ich den Trainingsplan von User Wasi im Tour-Forum entdeckte. Ab dem 01.12. wurden dort verschiedene Trainingspläne vorgestellt, die zu einem ersten Peak in 5 Monaten führen sollten. Entgegen meiner bisherigen Trainingspraxis wurde direkt mit intensiven VO2max Intervallen begonnen. Das Training war sehr abwechslungsreich und die vielen Kommentare und Diskussionen dazu im entsprechenden Thread sehr hilfreich. So führte es denn auch zu einer neuen Bestzeit bei meinem Heimbergrennen in Spaichingen. Relativ spät ab Mitte Juli begann ich dann auf den Marathonplan umzusteigen und vermehrt lange Einheiten einzubauen. Vor allem der Alpenurlaub Ende Juli verhalf mir dann noch mal zu einem deutlichen Formanstieg. So war ich mir sicher, bei idealen Bedingungen eine Zeit unter 9 Stunden fahren zu können. Auch mit der Ernährung hatte ich mich im Vorfeld noch einmal befasst. Bis zum Jaufenpass wollte ich ausschließlich mit Flüssignahrung auskommen. Dazu hatte ich in beiden Trinkflaschen je 60g Maltodextrin gemischt und mir 4 zusätzliche Beutel mit derselben Menge und etwas Kochsalz hergestellt. Diese Mischung hatte ich im Training zuvor getestet und für gut empfunden.


So weit, so gut. Aber wie so oft, war ich zunächst schon an der ersten Hürde des Ötztaler Radmarathons gescheitert. Ich hatte bei der Startplatzlotterie keinen Startplatz bekommen. Nach längerer Suche erhielt ich dann von einem User des Tour-Forums doch noch einen Platz für 150 Euro übertragen. So stand der Verwirklichung meines Traumes also nichts mehr im Wege. Am Samstag, den 30.08.14 machte ich mich früh morgens zusammen mit meiner Frau auf den Weg nach Sölden. Wir hatten im Vorfeld eine kleine Ferienwohnung in Toni’s Ferienheim gebucht. Nach endlosem Stau von Füssen bis über den Fernpass kamen wir um ca. 15:00 Uhr endlich in Sölden an. Da es schon spät war und es in Sölden bereits zu nieseln begann, verzichtete ich auch dieses Jahr auf eine kleine Warm-up Runde. Wir holten unsere Startunterlagen ab, genossen das Pasta-Buffet in der Freizeit-Arena und trafen noch einige User des Tour-Forums auf der Empore. Danach checkte ich noch mal meine Ausrüstung und es ging früh ins Bett.


Um 4:45 Uhr klingelte bereits der Wecker, ein wenig arg früh wie ich später feststellte. Ich verschlang mein mitgebrachtes Frühstück und packte meinen Kram zusammen. Neben der kurz/kurz Trikotvariante wählte ich Überschuhe, Beinlinge, ein langes Funktionsshirt sowie eine Windweste. In die Trikottaschen stopfte ich meine 4 Beutel Maltodextrin, 2 Riegel, 4 Gels, lange Handschuhe und ein kurzes Funktionsshirt. Außerdem hatte ich in einer großen Satteltasche noch meine Regenjacke verstaut. Nachdem ich noch eine Viertelstunde Zeit totgeschlagen hatte, rollte ich um kurz vor 6 Uhr gemächlich zum Start. Es war bewölkt und daher nicht wirklich kalt. Das Thermometer zeigte 11° an. Trotz der frühen Ankunftszeit stand ich ca. 150 Meter hinter der Startlinie und hatte schon fast. 1.000 Teilnehmer vor mir. Pünktlich um 6:45 Uhr erfolgte zu den Klängen von „An Tagen wie diesen“ dann der Startschuss. Zwei Minuten später rollte ich über die Startlinie und versuchte mich im Feld zu positionieren. Hier musste man aber schon ein wenig Acht geben. Wer hier allzu verträumt vor sich hin pedaliert, dürfte bis Ötz ordentlich Plätze verlieren. Nachdem mich die ersten Teilnehmer überholt hatten, wurde mir das auch bewusst und ich begann aktiver zu fahren. So schoss bereits auf der Abfahrt der Puls einige Male auf 150 und darüber hinaus. Dafür kam ich aber zügig voran und musste keine brenzligen Situationen überstehen. Wie immer war die Strecke toll gesichert. Fahrbahnteiler wurden rechtzeitig und lautstark angekündigt. Und auch um diese frühe Uhrzeit feuerten uns bereits zahlreiche Zuschauer an.


Nach 37 Minuten erreichte ich auf Platz 907 liegend den Kreisverkehr in Ötz und lag bereits 2 Minuten unter meiner Sollzeit. Obwohl es im Tal anscheinend nur 2 Grad wärmer war, hätte ich mich bereits hier am liebsten von meinen Beinlingen und dem Funktionsshirt getrennt. Aber ich wollte keine Zeit verlieren. Außerdem ist das Kühtai auch über 2.000 m hoch und die Abfahrt sehr schnell. Es konnte dort also durchaus noch mal frisch werden. Zu guter Letzt galt es auch möglichst weit vorne im Feld in den Brenner zu fahren, um eine gute Gruppe zu erwischen. Also verzichtete ich auf einen Klamottenwechsel und nahm das Kühtai in Angriff. Ich fand schnell einen guten Tritt und überholte fortwährend andere Fahrer. Der Puls lag dabei meist knapp über 150 und damit im akzeptablen Bereich. Ohne Schwierigkeiten erreichte ich das Flachstück bei Ochsengarten und suchte ein gutes Hinterrad um auf den wenigen flacheren Metern etwas Windschatten zu erhalten. Dann folgte das steilste Stück mit mehr als 14% über mehrere hundert Meter. Um noch eine angenehme Trittfrequenz treten zu können, jagte ich den Puls nun auf Werte deutlich über 160 und damit im Bereich meiner anaeroben Schwelle. Trotzdem fühlte ich mich noch gut und überholte munter weitere Teilnehmer.


Es folgte ein längeres Stück mit lediglich 5% im Schnitt, ehe es noch einmal für einen Kilometer zweistellige Prozentwerte zu bezwingen galt. Danach war das Schlimmste überstanden. Die letzten zwei Kilometer beinhalteten lediglich noch zwei kurze steile Rampen, ansonsten waren sie locker zu bewältigen. Nach knapp 1:50h erreichte ich auf Platz 464 das Kühtai und lag damit schon stolze 4 Minuten unter meiner Sollzeit. Ich steuerte die Labe an und war erfreut, dass ich mit dem Rad direkt an die Labe fahren konnte, ohne andere Teilnehmer zu behindern. Rasch wurden mir die Flaschen gefüllt und ich schüttete mein Maltodextrin dazu. 1-2 Minute später setzte ich meine Fahrt bereits fort. Es folgte die schnelle Abfahrt nach Kematen. Bereits auf den ersten Kilometern erreichte ich durch die Galerie fahrend Geschwindigkeiten von knapp 90 km/h. Andere waren hier trotzdem deutlich schneller. Ich versuchte hingegen, ein für mich akzeptables Verhältnis zwischen maximaler Geschwindigkeit und nötiger Sicherheit zu finden. So erreichte ich auch auf der Hochgeschwindigkeitspassage bei Gries keine höheren Werte. Auf den letzten Kilometern galt es dann, den Anschluss an eine Gruppe zu finden. In Kematen angekommen musste ich dafür ordentlich die Beine kreisen lassen. Aber kurze Zeit später befand ich mich in einer großen Gruppe die rasch auf über 100 Fahrer anwuchs. So ging es zügig Richtung Innsbruck. Immer wieder schaute ich kurz nach hinten, um mich zu vergewissern, dass ich nicht ganz am Schluss der Gruppe fuhr. Und wenn das der Fall war, arbeitete ich mich postwendend etwas nach vorne.


Auch hier hätte ich mich lieber von meinen Klamotten getrennt. Es war zwar nicht so, dass ich großartig schwitzte. Aber um maximale Leistung zu bringen, muss es mir schon fast kalt sein und das war es definitiv nicht. Aber direkt vor dem Brenner anhalten und die Gruppe ziehen lassen, wäre selten dämlich gewesen. Vielleicht war das auch der Grund, warum in Innsbruck schon zum ersten Mal der Oberschenkel kurz zwickte. „Na das kann ja heiter werden“, dachte ich mir. Mit solchen Sperenzchen hatte ich eigentlich erst auf der zweiten Hälfte des Timmelsjoch gerechnet. Nach 2:36 h erreichte ich die Zeitmessung in Innsbruck und lag weiter 5 Minuten unter meiner Sollzeit. Für den Brenner erhoffte ich mir ähnlich wie 2010 eine lockere Auffahrt und entsprechend Regeneration. Doch so weit vorne im Feld wurde natürlich nicht gebummelt. Mein Puls pendelte ähnlich wie am Kühtai um die 150. Dafür erreichten wir in einigen fast flachen Passagen knapp 40 km/h. Nach einer guten halben Stunde zerfiel die Gruppe aber in zwei Teile und schlagartig ließ die Geschwindigkeit nach. Während ich vorne den ersten Teil der Gruppe entschwinden sah, konnte ich im zweiten Teil der Gruppe mit einem Puls von 130 endlich ein wenig regenerieren. Das war mir aber gerade Recht. Ich hatte das Gefühl ein wenig Erholung dringend zu benötigen. Es dauerte aber nur eine knappe viertel Stunde, bis von hinten eine größere Gruppe zu uns auffuhr, direkt überholte und das Tempo wieder kräftig anzog.


Für mich waren nun zwei Dinge wichtig. Zum einen durfte ich hier nicht schon weitere Probleme mit dem Oberschenkel bekommen. Zum anderen wollte ich die Gruppe im immer noch eher flachen Anstieg nicht verlieren. Beides gelang mir und so erreichte ich die letzten vier Kilometer, auf denen erstmals deutlich an Höhe gewonnen wurde. Nun konnte mir die Gruppe aber auch egal sein. Anscheinend dachte wohl jeder so, denn die Gruppe zerfiel hier mehr oder weniger in ihre Einzelteile. Ich versuchte nun meinen eigenen Rhythmus zu finden. Am Brennersee angekommen, war auch dieser Abschnitt geschafft und ich schnappte mir noch schnell ein Hinterrad um windgeschützt für einige hundert Meter Kraft zu sparen. Kurz danach erfolgte die nächste Zeitmessung. 3:49 h stand nun auf der Uhr. Dies bedeutete Platz 521 und weiter 5 Minuten unter Sollzeit. Ich war damit natürlich absolut zufrieden. Zumal mein Oberschenkel auch nicht mehr gezuckt hatte. Jetzt noch vernünftig den Jaufen bezwingen, dann konnte am Timmelsjoch ja gerne das Leiden beginnen. Kurze Zeit später erreichte ich die Labe. Wieder ließ ich mir nur die Wasserflaschen füllen und schüttete meine letzten beiden Beutel Maltodextrin dazu. Das Ganze dauerte etwas länger als am Kühtai, aber mehr als 2-3 Minuten brauchte ich dazu nicht.


Leider war ich zu diesem Zeitpunkt der Einzige, der die Labe verließ. So durfte ich die ersten fast flachen Kilometer den Brenner hinunter alleine im Wind fahren. Ich schaute mich immer wieder um, erkannte zwar eine Gruppe hinter mir, diese kam aber nur langsam näher. Erst als die ersten Serpentinen und damit der steilere Abschnitt begann, holte sie mich ein. Die Abfahrt war dann schnell gemeistert und es ging durch Sterzing dem Jaufen entgegen. Unten an der Zeitnahme wurde ich mit 4:18 h auf Platz 585 notiert. Die Alleinfahrt hatte mich einige Plätze gekostet. Aber ich lag weiterhin 6 Minuten im Plus. Wieder überlegte ich kurz, ob ich nicht endlich die Beinlinge, die Überschuhe und das lange Funktionsshirt ausziehen sollte. Das würde mich aber sicher einige Minuten kosten und mit 16 Grad war es auch hier unten nicht wirklich warm. Ich beschränkte mich daher darauf, die Beinlinge runterzurollen und Trikot und Windweste aufzumachen. Das musste als Kühlung genügen.


Der nun folgende Jaufenpass lag mir eigentlich. Mit 15 km Länge und 7,5% Steigung im Schnitt sicher kein leichter Pass. Dafür aber sehr gleichmäßig und ohne steile Rampen. Theoretisch könnte man unten einen Gang einlegen und bis oben damit durchfahren. Und so ähnlich war auch mein Plan. Der kleinste Gang wurde eingelegt und nur selten schaltete ich nach oben. Mein Puls pendelte beständig um die 145, die Geschwindigkeit um die 12 km/h. Beides Werte mit denen ich durchaus leben konnte. Trotzdem merkte ich schon bald, dass mein Akku bei weitem nicht mehr so voll war, wie gewünscht. Ich musste mich mehr und mehr überwinden weiterhin Druck auf die Pedale auszuüben. In diesem Zustand zeigte sich nun auch die Kehrseite des Jaufenpasses. Seine gleichmäßige Steigung drückt sich eben auch in einer gleichmäßigen, um nicht zu sagen stinklangweiliger Landschaft aus. Stets im Wald fahrend, sieht jeder Meter aus wie der Andere. Erstmals kam mir der Gedanke in den Sinn, dass es doch viel schöner wäre, jetzt einfach in ein Auto einzusteigen, nach Sölden zu fahren und diesen ganzen Marathon-Ötztaler-Ich will unbedingt unter 9 Stunden fahren-Mist sein zu lassen. Ich versuchte ihn so schnell wie möglich zu verdrängen. Das einzig positive war, dass es allen anderen scheinbar nicht viel besser ging. Den mehrheitlich überholte ich nach wie vor andere Teilnehmer. Trotzdem war ich erleichtert, als der Wald endlich verlassen wurde und wenig später die Labe und die Passhöhe in Sicht kamen.


An der Labe füllte ich nur kurz meine Flaschen mit Wasser und schon ging es weiter. Ein paar Höhenmeter später erreichte ich nach 5:33 h und damit 7 Minuten unter Soll auf Platz 509 den Jaufenpass. Meine Oberschenkel hatten zwar unterwegs ein paar Mal auf sich aufmerksam gemacht. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass ich schon in Innsbruck leichte Probleme verspürt hatte, konnte ich damit gut leben. Ich drückte mir schnell ein Gel rein und machte mich auf zur Jaufenabfahrt. Vor der hatte ich nach meinem Crash vor zwei Jahren ziemlichen Respekt. Umso glücklicher war ich, dass das Wetter immer noch mitspielte und kein Regen in Sicht war. Ich versuchte möglichst wenig in der Mitte zu fahren um den Längsrillen auszuweichen. Trotzdem nahm ich die ein oder andere mit. Glücklicherweise wurde aber ein Teil der Abfahrt inzwischen frisch asphaltiert. Nichts desto trotz ist es nach wie vor die schwierigste der fünf Abfahrten. Viele oft uneinsichtige Kurven erfordern höchste Konzentration. Ich passierte die Stelle, an der ich beim letzten Mal die Felswand touchiert hatte und war froh, den Abschnitt hinter mir zu lassen. Zahlreiche Fahrer überholten mich jetzt und den Wenigsten konnte ich folgen. So war es kein Wunder, dass ich in St. Leonhard angekommen, gut 30 Plätze verloren hatte. Wie mir Datasport später zeigte, war dieser Abschnitt - welch Wunder - mein mit Abstand schlechtester.


Trotzdem lag ich mit genau 6 Stunden Fahrtzeit inzwischen 8 Minuten unter meinem Plan. So langsam machte sich Hoffnung breit, dass es sich heute mit einer Zeit unter 9 Stunden wirklich ausgehen konnte. Doch dazu mussten erst noch die 29 km des Timmelsjochs bewältigt werden. Ich gönnte mir auf den ersten noch fast flachen Metern meinen ersten Riegel. Dabei hatte ich sowohl Mühe, das klebrige Ding anständig auszupacken, als auch es tatsächlich zu Essen. Mein Magen wollte eigentlich nur seine Ruhe haben. Aber die konnte ich ihm bei allem was noch vor mir lag nicht gönnen. Die ersten 7 Kilometer waren noch einigermaßen vernünftig zu fahren. Zwar brachte ich den Puls kaum noch auf 140, aber ich bewegte mich zumindest noch vorwärts. Kaum war dieses erste Stück geschafft und die Steigung nahm auf über 9 % zu, rebellierte mein Oberschenkel. Anfangs genügten kurze Wechsel in den Wiegetritt, später brauchte ich immer länger, um den krampfenden Muskel zu beruhigen. Mitten im Steilstück meldete sich dann auch noch meine Blase. Ich gönnte mir die Minute Pause um wenigstens vor ihr Ruhe zu haben. Die Beine gaben jetzt aber keine Ruhe mehr. Mal links, mal rechts, mal innen, mal außen, mal der Oberschenkel, mal die Wade, ständig zuckte es irgendwo. Einige Male war ich mir sicher, den Krampf nicht verhindern zu können und wartete nur darauf, dass der Muskel endgültig zu machen würde. Aber fast wie durch ein Wunder, beruhigte er sich immer wieder rechtzeitig.


Dann kam endlich das Flachstück vor der Labe Schönau. Wieder zwang ich mir einen Riegel auf und wieder hatte ich Mühe das Ding runterzukriegen. Es dauerte bis zur Labe, ehe der Riegel den Weg in meinen Magen gefunden hatte. Ich hielt auch hier nur für 1 Minute an und füllte etwas Wasser nach, dann ging es weiter. Zunächst noch kurz flach, zog die Steigung danach wieder auf knapp 7% an. Sofort machten sich meine Oberschenkel wieder bemerkbar. Ich musste jetzt immer mal wieder auch deutlich Druck vom Pedal nehmen. Es folgte die 180° Kurve über den Passer-Fluss und damit der Beginn des finalen Aktes. Noch einen Kilometer blieb die Steigung bei sieben Prozent. Das war für mich eigentlich schon mehr als genug. Aber der Ötztaler Radmarathon wäre eben nicht das was er ist, wenn er am Ende nicht noch einen drauf setzten könnte. Für die folgenden zwei Kilometer waren mehr als 10% im Schnitt zu bezwingen. Das fiese daran war, dass hier keine Kehren zu bewältigen waren. Die Strasse zog sich windungsreich immer gen Südwesten den Hang hinauf. Erstmals am heutigen Tag wurde ich nun bergauf des Öfteren überholt. Zwar schnappte ich mir auch selbst hin und wieder einen anderen Fahrer, bewegte mich dabei aber am absoluten Limit. Der Puls stieg kaum noch über 130, mehr war jetzt einfach nicht mehr drin. Ich war über jeden Meter im Sattel froh. Einige Male machte der Oberschenkelmuskel so weit zu, dass ich mir sicher war, gleich einen Krampf zu erleiden. Dann wäre eine Weiterfahrt unmöglich und ich hätte absteigen müssen. Aber auch hier hatte er immer im letzten Moment ein Einsehen.


Nach einem schier endlosen Kilometer kamen endlich die fünf Kehren in Sicht. Vor der ersten war die letzte Getränkelabe stationiert. Ich ließ mir das erst beste Getränk reichen, welches einen roten Stier trug und leerte die halbe Dose während der Fahrt, ehe sie in der Mülltonne landete. Zwar ließ die Steigung hier nicht nach, die Serpentinen sorgten aber für Abwechslung und machten die Sache deutlich einfacher. Nach der letzten Kehre ging die Steigung endlich wieder deutlich zurück. Ich fühlte mich jetzt schlagartig besser und konnte erstmals seit längerer Zeit wieder ohne sich anbahnende Krämpfe weiterfahren. Bevor die Gerade zu Ende war, ging die Steigung wieder nach oben. Noch einmal 3 Kilometer mit fast 10% galt es zu überstehen. Der Oberschenkel meldete sich wieder ab und zu, aber nicht so schlimm wie im ersten Steilstück. Ich fühlte mich zwar mies, musste aber unweigerlich an den letzten Ötzi denken. Damals tobte hier oben ein kleiner Sturm mit Schneegestöber. "Dagegen war das hier doch heute Kindergeburtstag", dachte ich mir. Zwar waren die Temperaturen mittlerweile auch einstellig, aber es war immer noch trocken und vor allem fast windstill. Endlich erreichte ich die letzten drei Kehren. Als ich die ersten zwei überwunden hatte, traute ich meinen Augen nicht. Stand da nicht vor der letzten Kehre Didi Senft, der Radsportverrückte im Teufelskostüm den ich schon hunderte Mal im Fernsehen bei der Tour de France gesehen hatte. Lautstark feuerte er die Teilnehmer an. Ich brachte ein „schön dass du da bist“ über die Lippen und klatschte ihn ab.


Dann kamen die letzte Kehre und das Tunnel in Sicht. Triumphgefühle machten sich breit. Aber noch war ich nicht im Ziel. Ich schien sehr gut in der Zeit zu liegen, aber noch war ich nicht ganz oben. Inzwischen war dichter Nebel aufgezogen und ich machte mir schon leichte Sorgen um die Abfahrt. Aber erst einmal mussten noch die letzten, nur noch vier Prozent steilen Kilometer gemeistert werden. Ich bekam nun die zweite Luft und machte noch einmal ordentlich Tempo. Keiner den ich jetzt überholte, konnte mir hier folgen. Dann endlich erreichte ich nach 8:17 h auf Platz 514 liegend die Passhöhe. Ich hielt kurz an, zog die Beinlinge nach oben, schloss mein Trikot und die Windweste und gönnte mir ein Gel. Ein kurzer Blick auf meine Zeittabelle verriet mir, ich lag 8 Minuten vorne. „Das musste jetzt doch reichen“, dachte ich mir. Ich stürzte mich in die Abfahrt und war erfreut, dass sich der Nebel rasch wieder verzog. Das war auch besser so, denn kurze Zeit später, standen zwei Kühe mitten auf der Strasse. Ich sah sie rechtzeitig, bremste ordentlich herunter und umkurvte sie mit reichlich Sicherheitsabstand. Nun konnte man es ordentlich laufen lassen. Kurz danach kam bereits der Gegenanstieg in Sicht. Ich machte mich so klein wie möglich, um den maximalen Schwung mitnehmen zu können. Trotzdem war nach nur wenigen Metern wieder Treten angesagt. Auch diesmal zog sich der Gegenanstieg wieder endlos lange und meine Oberschenkel spielten erneut verrückt. Fast 10 Minuten brauchte ich für die gut 100 hm. Dann war auch dieser Teil geschafft.


Nun öffnete der Himmel langsam seine Pforten. Der angekündigte Regen erwischte mich doch noch. Aber das sollte jetzt auch kein Problem mehr sein. Es folgten nur noch wenige Serpentinen nach Hochgurgl, ansonsten konnte man es laufen lassen. Im Gefühl des sicheren Sieges über die Zeit, machte ich jetzt nicht mehr wirklich Tempo. In Zwieselstein schaute ich dann noch einmal auf die Uhr. 8:51 h zeigte sie an. „Verdammte Kacke“ dachte ich mir, „das wird ja noch mal richtig eng“. Ich wusste nicht wirklich, wie weit es noch bis Sölden war und ließ auch außer Acht, dass ich die Stoppuhr 2-3 Minuten zu früh gestartet hatte. Aber 9 Minuten schienen mir verdammt wenig, denn noch war von Sölden nichts zu sehen. Nur ein paar Augenblicke später, kam es aber in Sicht und nun wusste ich endgültig, ich würde es packen. Trotz des Regens wurde ich in Sölden von zahlreichen Zuschauern empfangen. Die letzte Kurve, ab über die Brücke und es war geschafft. Ich reckte die Faust gen Himmel, schlug ein paar Mal befriedigt auf den Lenker und überquerte nach 8:54:50 h als 528. die Ziellinie.


Ziel Oetztaler.jpg
Am Ziel in Sölden und auch am Ziel meiner Träume. Die 9 Stunden-Marke beim Ötztaler Radmarathon ist gefallen.

Trotz der guten Zeit, war es weit weniger emotional als beim ersten Start vor 4 Jahren. Es war ein wenig Stolz dabei, aber viel mehr noch Erleichterung. Erleichterung darüber, mein Ziel beim Ötzi erreicht zu haben und nicht noch einmal antreten zu müssen. Es dauerte eine Weile, bis ich mich zu meiner Frau durchgekämpft hatte. Sie umarmte mich und war mindestens genau so stolz auf mich, wie ich selbst. Danach ging es zurück zu unserer Wohnung. Als wir später wieder in die Freizeitarena kamen, war es schon deutlich kühler geworden. Kaum ein Teilnehmer, der nicht mit zitternden Lippen ins Ziel kam. Wenn man selbst schon etliche Male solche Geschichten erlebt hat, konnte man kaum hinschauen. Nach dem Pasta-Buffet dann dasselbe Bild, nur dass inzwischen noch heftiger Wind dabei war. Ich hab auf dem Rad durchaus auch schon einiges erlebt (ich sag nur Bonette bei Schnee), aber Respekt an alle, die nach über 11 Stunden ins Ziel gekommen sind.



Fazit:

Natürlich war ich mit meiner Zeit hochzufrieden. Bei meinem Trainingsaufwand sind Zeiten unter 9 Stunden alles andere als garantiert. Es war von Anfang an klar, dass alles optimal laufen muss, damit ich mein Ziel erreichen kann. Letztlich lief wohl fast alles perfekt. Vor allem war das Wetter natürlich super. Kühl aber trocken. Der Regen auf der letzten Abfahrt hat sicherlich kaum noch Zeit gekostet. Die Krämpfe setzten dieses Mal ein wenig früh ein. Eventuell lag es daran, dass ich mir nicht die Zeit genommen hatte, mich von einigen Klamotten zu trennen. Ansonsten ist zum Ötzi ja schon alles gesagt worden. Es ist einfach ein perfekt organisierter Marathon mit einer tollen Strecke. Allerdings darf ein wenig Kritik dann auch nicht fehlen. Die ständigen Preiserhöhungen in allen Bereichen (Registrierung, Startgeld, Umschreibung) lässt vermuten, dass hier anders wie oft verbreitet, eben doch die Gewinnmaximierung im Vordergrund steht. Und dann ist da noch der Sponsor Red Bull, den ich einfach nicht leiden kann. Dass der es dann in Form einer Getränkedose sogar noch aufs Trikot schafft, ist echt traurig. Hat aber auch wieder was Gutes. Da ich das Teil eh nie tragen werde, landet es jetzt bei Ebay. Zusammen mit dem Rucksack aus dem Starterpaket. Wenn ich sehe was da für Preise geboten werden, ist der Ötzi wohl doch sein Geld wert. Ich denke mal ¾ der Startgebühren holt man sich so locker wieder rein :-)


Ich hab jetzt jedenfalls mit dem Ötztaler meinen Frieden geschlossen. Ich glaube so schnell sieht er mich nicht wieder. 7 Stunden Hinfahrt und 6 Stunden Rückfahrt mit etlichen Staus sind das Ganze einfach nicht wert. Und wenn man den Marathon nur auf Zeit fährt und unterwegs immer irgendwie von Hektik getrieben wird, macht es auch nicht wirklich Spaß. Der schönste Ötzi war eigentlich der Erste. Vielleicht komme ich in ein paar Jahren noch mal wieder, fahre den Ötzi Just for Fun und mache anschließend in der Nähe noch Urlaub. Jetzt freue ich mich erstmal auf eine gewisse Zeit ohne Rad :-)